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[Herder, Johann Gottfried von]: Plastik. Riga u. a., 1778.

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"gewesen seyn, was uns auf unser Gebet ward.
"Es ward uns ja auf dasselbe, und ungezweifelt
"hat Er, Baal, es uns gegeben". Daher
auch die übeln Begegnungen der Heiden gegen
die Bildsäulen ihrer Götter, die uns jetzt
nicht minder befremden. Kinder, Menschen
in Wuth und Leidenschaft machens noch jetzt also,
und die Sinnlichkeit machts nie anders. Sie
schlagen die Puppe und behandeln sie als leben-
dig-unglücklich Liebende, zumal Weiber, zer-
schlagen das Geschenk des Untreuen oder rächen
sich an Papier, Boten, Stelle und Denkmahl.
Wenn Nordländer die Bildsäulen Jtaliens zer-
schlugen, so schimpfen wir sie Barbaren: als
solche aber konnten sie auch nicht anders. Jhre
Augen sahen den Dämon in ihnen, und also mu-
sten sie anbeten oder zerschmettern. Hätten sie
Jahrhunderte bei ihnen gewohnt, würde, wie
es die Geschichte Jtaliens zeigt, ihr überspann-
tes hohes Gefühl sich Zeit genung in Kunst,
Kunst in Geschmack, Geschmack in Eckel und
Vernachläßigung aufgelöst haben.

Dies ist auch die Geschichte der Kunst bei
allen Völkern. Vom Himmel entsprang sie:
Ehrfurcht, Liebe, ein Funke der Götter brach-
te sie hinunter, schuf ihr irrdische Form an, und
erhielt sie einige, wiewohl kurze Zeit lebend.
Nun ward sie Abgötterei, sodann Kunst, so-

dann
H 4

„geweſen ſeyn, was uns auf unſer Gebet ward.
„Es ward uns ja auf daſſelbe, und ungezweifelt
„hat Er, Baal, es uns gegeben„. Daher
auch die uͤbeln Begegnungen der Heiden gegen
die Bildſaͤulen ihrer Goͤtter, die uns jetzt
nicht minder befremden. Kinder, Menſchen
in Wuth und Leidenſchaft machens noch jetzt alſo,
und die Sinnlichkeit machts nie anders. Sie
ſchlagen die Puppe und behandeln ſie als leben-
dig-ungluͤcklich Liebende, zumal Weiber, zer-
ſchlagen das Geſchenk des Untreuen oder raͤchen
ſich an Papier, Boten, Stelle und Denkmahl.
Wenn Nordlaͤnder die Bildſaͤulen Jtaliens zer-
ſchlugen, ſo ſchimpfen wir ſie Barbaren: als
ſolche aber konnten ſie auch nicht anders. Jhre
Augen ſahen den Daͤmon in ihnen, und alſo mu-
ſten ſie anbeten oder zerſchmettern. Haͤtten ſie
Jahrhunderte bei ihnen gewohnt, wuͤrde, wie
es die Geſchichte Jtaliens zeigt, ihr uͤberſpann-
tes hohes Gefuͤhl ſich Zeit genung in Kunſt,
Kunſt in Geſchmack, Geſchmack in Eckel und
Vernachlaͤßigung aufgeloͤſt haben.

Dies iſt auch die Geſchichte der Kunſt bei
allen Voͤlkern. Vom Himmel entſprang ſie:
Ehrfurcht, Liebe, ein Funke der Goͤtter brach-
te ſie hinunter, ſchuf ihr irrdiſche Form an, und
erhielt ſie einige, wiewohl kurze Zeit lebend.
Nun ward ſie Abgoͤtterei, ſodann Kunſt, ſo-

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[119/0122] „geweſen ſeyn, was uns auf unſer Gebet ward. „Es ward uns ja auf daſſelbe, und ungezweifelt „hat Er, Baal, es uns gegeben„. Daher auch die uͤbeln Begegnungen der Heiden gegen die Bildſaͤulen ihrer Goͤtter, die uns jetzt nicht minder befremden. Kinder, Menſchen in Wuth und Leidenſchaft machens noch jetzt alſo, und die Sinnlichkeit machts nie anders. Sie ſchlagen die Puppe und behandeln ſie als leben- dig-ungluͤcklich Liebende, zumal Weiber, zer- ſchlagen das Geſchenk des Untreuen oder raͤchen ſich an Papier, Boten, Stelle und Denkmahl. Wenn Nordlaͤnder die Bildſaͤulen Jtaliens zer- ſchlugen, ſo ſchimpfen wir ſie Barbaren: als ſolche aber konnten ſie auch nicht anders. Jhre Augen ſahen den Daͤmon in ihnen, und alſo mu- ſten ſie anbeten oder zerſchmettern. Haͤtten ſie Jahrhunderte bei ihnen gewohnt, wuͤrde, wie es die Geſchichte Jtaliens zeigt, ihr uͤberſpann- tes hohes Gefuͤhl ſich Zeit genung in Kunſt, Kunſt in Geſchmack, Geſchmack in Eckel und Vernachlaͤßigung aufgeloͤſt haben. Dies iſt auch die Geſchichte der Kunſt bei allen Voͤlkern. Vom Himmel entſprang ſie: Ehrfurcht, Liebe, ein Funke der Goͤtter brach- te ſie hinunter, ſchuf ihr irrdiſche Form an, und erhielt ſie einige, wiewohl kurze Zeit lebend. Nun ward ſie Abgoͤtterei, ſodann Kunſt, ſo- dann H 4

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Zitationshilfe: [Herder, Johann Gottfried von]: Plastik. Riga u. a., 1778, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_plastik_1778/122>, abgerufen am 24.04.2024.