Sinnes, den sie nicht besaß, nur sie verstand kei- nen: es war aufgeschnapptes Papageienwesen, wie ein großer Theil der Sprache bei uns Men- schen mit fünf Sinnen immer fort ist. Uebri- gens halte ich Mängel von dieser Art für die ein- zige sicherste Quelle, unsre Sprache und Begriffe der so verflochtnen Sinnlichkeit zu scheiden und jedem Sinne wiederzugeben, was sein ist. Wenn je eine praktische Vernunftlehre, ein philosophi- sches Lexicon der Sprache, Sinne und schönen Künste geschrieben wird, wo jedes Wort, jeder Begriff seinen Ursprung finde, und wo den Gän- gen nachgespürt werde, wie er sich von Sinn zu Sinn, von Sinn zu Seele übertrage? so, dünkt mich, müssen Versuche der Art Leitfaden seyn, oder alles bleibt Labyrinth und Vernunftgewäsche, wie es jetzt ist.
Jn diesem Buche ist über Einen Sinn, und aus Einer Kunst und Klasse von Begriffen eine kleine Anfangsprobe. Honny soit qui mal y pense, und der, was aufrichtiges Tappen nach Wahrheit, Richtigkeit, Einfalt war, was züchti- ges Gefühl bedeutungsvoller Formen der Schö- pfung Gottes und nicht Unzuchtbegriffe wecken sollte, mit Anmerkungen eines Gecken, oder An- wendungen eines Buben entehret. Das Beste kann zuerst gemißbraucht werden, eben weil an ihm etwas zu mißbrauchen ist; ja die Wahrheit,
die
Sinnes, den ſie nicht beſaß, nur ſie verſtand kei- nen: es war aufgeſchnapptes Papageienweſen, wie ein großer Theil der Sprache bei uns Men- ſchen mit fuͤnf Sinnen immer fort iſt. Uebri- gens halte ich Maͤngel von dieſer Art fuͤr die ein- zige ſicherſte Quelle, unſre Sprache und Begriffe der ſo verflochtnen Sinnlichkeit zu ſcheiden und jedem Sinne wiederzugeben, was ſein iſt. Wenn je eine praktiſche Vernunftlehre, ein philoſophi- ſches Lexicon der Sprache, Sinne und ſchoͤnen Kuͤnſte geſchrieben wird, wo jedes Wort, jeder Begriff ſeinen Urſprung finde, und wo den Gaͤn- gen nachgeſpuͤrt werde, wie er ſich von Sinn zu Sinn, von Sinn zu Seele uͤbertrage? ſo, duͤnkt mich, muͤſſen Verſuche der Art Leitfaden ſeyn, oder alles bleibt Labyrinth und Vernunftgewaͤſche, wie es jetzt iſt.
Jn dieſem Buche iſt uͤber Einen Sinn, und aus Einer Kunſt und Klaſſe von Begriffen eine kleine Anfangsprobe. Honny ſoit qui mal y penſe, und der, was aufrichtiges Tappen nach Wahrheit, Richtigkeit, Einfalt war, was zuͤchti- ges Gefuͤhl bedeutungsvoller Formen der Schoͤ- pfung Gottes und nicht Unzuchtbegriffe wecken ſollte, mit Anmerkungen eines Gecken, oder An- wendungen eines Buben entehret. Das Beſte kann zuerſt gemißbraucht werden, eben weil an ihm etwas zu mißbrauchen iſt; ja die Wahrheit,
die
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0117"n="114"/>
Sinnes, den ſie nicht beſaß, nur ſie verſtand kei-<lb/>
nen: es war aufgeſchnapptes Papageienweſen,<lb/>
wie ein großer Theil der Sprache bei uns Men-<lb/>ſchen mit fuͤnf Sinnen immer fort iſt. Uebri-<lb/>
gens halte ich Maͤngel von dieſer Art fuͤr die ein-<lb/>
zige ſicherſte Quelle, unſre Sprache und Begriffe<lb/>
der ſo verflochtnen Sinnlichkeit zu ſcheiden und<lb/>
jedem Sinne wiederzugeben, was ſein iſt. Wenn<lb/>
je eine praktiſche <hirendition="#fr">Vernunftlehre,</hi> ein philoſophi-<lb/>ſches Lexicon der <hirendition="#fr">Sprache, Sinne</hi> und <hirendition="#fr">ſchoͤnen<lb/>
Kuͤnſte</hi> geſchrieben wird, wo jedes Wort, jeder<lb/>
Begriff ſeinen Urſprung finde, und wo den Gaͤn-<lb/>
gen nachgeſpuͤrt werde, wie er ſich von Sinn zu<lb/>
Sinn, von Sinn zu Seele uͤbertrage? ſo, duͤnkt<lb/>
mich, muͤſſen Verſuche der Art Leitfaden ſeyn,<lb/>
oder alles bleibt Labyrinth und Vernunftgewaͤſche,<lb/>
wie es jetzt iſt.</p><lb/><p>Jn dieſem Buche iſt uͤber Einen Sinn, und<lb/>
aus Einer Kunſt und Klaſſe von Begriffen eine<lb/>
kleine Anfangsprobe. <hirendition="#aq">Honny ſoit qui mal y<lb/>
penſe,</hi> und der, was aufrichtiges Tappen nach<lb/>
Wahrheit, Richtigkeit, Einfalt war, was zuͤchti-<lb/>
ges Gefuͤhl bedeutungsvoller Formen der Schoͤ-<lb/>
pfung Gottes und nicht Unzuchtbegriffe wecken<lb/>ſollte, mit Anmerkungen eines Gecken, oder An-<lb/>
wendungen eines Buben entehret. Das Beſte<lb/>
kann zuerſt gemißbraucht werden, eben weil an<lb/>
ihm etwas zu mißbrauchen iſt; ja die Wahrheit,<lb/><fwplace="bottom"type="catch">die</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[114/0117]
Sinnes, den ſie nicht beſaß, nur ſie verſtand kei-
nen: es war aufgeſchnapptes Papageienweſen,
wie ein großer Theil der Sprache bei uns Men-
ſchen mit fuͤnf Sinnen immer fort iſt. Uebri-
gens halte ich Maͤngel von dieſer Art fuͤr die ein-
zige ſicherſte Quelle, unſre Sprache und Begriffe
der ſo verflochtnen Sinnlichkeit zu ſcheiden und
jedem Sinne wiederzugeben, was ſein iſt. Wenn
je eine praktiſche Vernunftlehre, ein philoſophi-
ſches Lexicon der Sprache, Sinne und ſchoͤnen
Kuͤnſte geſchrieben wird, wo jedes Wort, jeder
Begriff ſeinen Urſprung finde, und wo den Gaͤn-
gen nachgeſpuͤrt werde, wie er ſich von Sinn zu
Sinn, von Sinn zu Seele uͤbertrage? ſo, duͤnkt
mich, muͤſſen Verſuche der Art Leitfaden ſeyn,
oder alles bleibt Labyrinth und Vernunftgewaͤſche,
wie es jetzt iſt.
Jn dieſem Buche iſt uͤber Einen Sinn, und
aus Einer Kunſt und Klaſſe von Begriffen eine
kleine Anfangsprobe. Honny ſoit qui mal y
penſe, und der, was aufrichtiges Tappen nach
Wahrheit, Richtigkeit, Einfalt war, was zuͤchti-
ges Gefuͤhl bedeutungsvoller Formen der Schoͤ-
pfung Gottes und nicht Unzuchtbegriffe wecken
ſollte, mit Anmerkungen eines Gecken, oder An-
wendungen eines Buben entehret. Das Beſte
kann zuerſt gemißbraucht werden, eben weil an
ihm etwas zu mißbrauchen iſt; ja die Wahrheit,
die
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Herder, Johann Gottfried von]: Plastik. Riga u. a., 1778, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_plastik_1778/117>, abgerufen am 27.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.