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[Herder, Johann Gottfried von]: Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit. [Riga], 1774.

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nach der einen Form ihrer Zeit -- oft ist sie
sehr klein und schwach! -- alle Jahrhunderte
modeln -- Hume! Voltäre! Robertsons!

klaßische Gespenster der Dämmerung! was
seyd ihr im Lichte der Wahrheit?

Eine gelehrte Gesellschaft unsrer Zeit i) gab,
ohne Zweifel in hoher Absicht die Frage auf,
"welches in der Geschichte wohl das glück-
"lichste Volk gewesen?"
und verstehe ich die
Frage recht: liegt sie nicht außer dem Hori-
zont einer menschlichen Beantwortung, so
weiß ich nicht, als zu gewisser Zeit und unter
gewissen Umständen, traf auf jedes Volk ein
solcher Zeitpunkt, oder es wars nie eines.
Jst nemlich wiederum menschliche Natur kein
Gefäß einer absoluten, unabhängigen, un-
wandelbaren Glückseligkeit,
wie der Philo-
soph sie definirt: sie zieht aber überall so viel
Glückseligkeit
an, als sie kann: ein bieg-
samer Ton,
sich in den verschiedensten Lagen,
Bedürfnissen und Bedrückungen auch verschie-

den
i) Die Herren müssen ein erschrecklich hohes
Jdeal gehabt haben, denn meines Wissens,
haben sie keine ihrer philosophischen Aufga-
ben je erreicht gefunden.
D 4



nach der einen Form ihrer Zeit — oft iſt ſie
ſehr klein und ſchwach! — alle Jahrhunderte
modeln — Hume! Voltaͤre! Robertſons!

klaßiſche Geſpenſter der Daͤmmerung! was
ſeyd ihr im Lichte der Wahrheit?

Eine gelehrte Geſellſchaft unſrer Zeit i) gab,
ohne Zweifel in hoher Abſicht die Frage auf,
„welches in der Geſchichte wohl das gluͤck-
„lichſte Volk geweſen?„
und verſtehe ich die
Frage recht: liegt ſie nicht außer dem Hori-
zont einer menſchlichen Beantwortung, ſo
weiß ich nicht, als zu gewiſſer Zeit und unter
gewiſſen Umſtaͤnden, traf auf jedes Volk ein
ſolcher Zeitpunkt, oder es wars nie eines.
Jſt nemlich wiederum menſchliche Natur kein
Gefaͤß einer abſoluten, unabhaͤngigen, un-
wandelbaren Gluͤckſeligkeit,
wie der Philo-
ſoph ſie definirt: ſie zieht aber uͤberall ſo viel
Gluͤckſeligkeit
an, als ſie kann: ein bieg-
ſamer Ton,
ſich in den verſchiedenſten Lagen,
Beduͤrfniſſen und Bedruͤckungen auch verſchie-

den
i) Die Herren muͤſſen ein erſchrecklich hohes
Jdeal gehabt haben, denn meines Wiſſens,
haben ſie keine ihrer philoſophiſchen Aufga-
ben je erreicht gefunden.
D 4
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[55/0059] nach der einen Form ihrer Zeit — oft iſt ſie ſehr klein und ſchwach! — alle Jahrhunderte modeln — Hume! Voltaͤre! Robertſons! klaßiſche Geſpenſter der Daͤmmerung! was ſeyd ihr im Lichte der Wahrheit? Eine gelehrte Geſellſchaft unſrer Zeit i) gab, ohne Zweifel in hoher Abſicht die Frage auf, „welches in der Geſchichte wohl das gluͤck- „lichſte Volk geweſen?„ und verſtehe ich die Frage recht: liegt ſie nicht außer dem Hori- zont einer menſchlichen Beantwortung, ſo weiß ich nicht, als zu gewiſſer Zeit und unter gewiſſen Umſtaͤnden, traf auf jedes Volk ein ſolcher Zeitpunkt, oder es wars nie eines. Jſt nemlich wiederum menſchliche Natur kein Gefaͤß einer abſoluten, unabhaͤngigen, un- wandelbaren Gluͤckſeligkeit, wie der Philo- ſoph ſie definirt: ſie zieht aber uͤberall ſo viel Gluͤckſeligkeit an, als ſie kann: ein bieg- ſamer Ton, ſich in den verſchiedenſten Lagen, Beduͤrfniſſen und Bedruͤckungen auch verſchie- den i) Die Herren muͤſſen ein erſchrecklich hohes Jdeal gehabt haben, denn meines Wiſſens, haben ſie keine ihrer philoſophiſchen Aufga- ben je erreicht gefunden. D 4

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Zitationshilfe: [Herder, Johann Gottfried von]: Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit. [Riga], 1774, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_philosophie_1774/59>, abgerufen am 22.11.2024.