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[Herder, Johann Gottfried von]: Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit. [Riga], 1774.

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Der Geist der neuern Philosophie -- daß
er auf mehr als eine Art Mechanik seyn müsse,
zeigt, denke ich, der meiste Theil seiner Kin-
der.
Bey Philosophie und Gelehrsamkeit oft
wie unwissend und unkräftig in Sachen des
Lebens und des gesunden Verstandes! Statt,
daß in den alten Zeiten der philosophische Geist
nie für sich allein bestand, von Geschäften
ausgieng und zu Geschäften eilte, also auch
nur Zweck hatte, volle, gesunde, würkende
Seelen
zu schaffen, seit er allein stehet und
Handwerk geworden -- ist er Handwerk.
Der wievielste Theil von euch betrachtet Logik,
Metaphysik, Moral, Physik, als was sie
sind -- Organe der menschlichen Seele, Werk-
zeuge,
mit denen man würken soll! Vorbil-
der
von Gedankenformen, die nur unsrer
Seele eine ihr eigne schönere Gedankenform
geben sollen -- dafür schlägt man mechanisch
seine Gedanken dahin ein, spielt und gaukelt --
der abentheuerlichste Bursche von Klopffechter!
Er tanzt mit dem Degen auf dem akademischen
Seile zur Bewundrung und Freude aller, die
ringsum sitzen, und dem großen Künstler jauch-
zen, daß er nicht Hals und Bein breche: --
das ist seine Kunst. Ein Geschäft auf der Welt
wollt ihrs übel besorgt haben, so gebts dem

Phi-
G 3


Der Geiſt der neuern Philoſophie — daß
er auf mehr als eine Art Mechanik ſeyn muͤſſe,
zeigt, denke ich, der meiſte Theil ſeiner Kin-
der.
Bey Philoſophie und Gelehrſamkeit oft
wie unwiſſend und unkraͤftig in Sachen des
Lebens und des geſunden Verſtandes! Statt,
daß in den alten Zeiten der philoſophiſche Geiſt
nie fuͤr ſich allein beſtand, von Geſchaͤften
ausgieng und zu Geſchaͤften eilte, alſo auch
nur Zweck hatte, volle, geſunde, wuͤrkende
Seelen
zu ſchaffen, ſeit er allein ſtehet und
Handwerk geworden — iſt er Handwerk.
Der wievielſte Theil von euch betrachtet Logik,
Metaphyſik, Moral, Phyſik, als was ſie
ſind — Organe der menſchlichen Seele, Werk-
zeuge,
mit denen man wuͤrken ſoll! Vorbil-
der
von Gedankenformen, die nur unſrer
Seele eine ihr eigne ſchoͤnere Gedankenform
geben ſollen — dafuͤr ſchlaͤgt man mechaniſch
ſeine Gedanken dahin ein, ſpielt und gaukelt —
der abentheuerlichſte Burſche von Klopffechter!
Er tanzt mit dem Degen auf dem akademiſchen
Seile zur Bewundrung und Freude aller, die
ringsum ſitzen, und dem großen Kuͤnſtler jauch-
zen, daß er nicht Hals und Bein breche: —
das iſt ſeine Kunſt. Ein Geſchaͤft auf der Welt
wollt ihrs uͤbel beſorgt haben, ſo gebts dem

Phi-
G 3
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[101/0105] Der Geiſt der neuern Philoſophie — daß er auf mehr als eine Art Mechanik ſeyn muͤſſe, zeigt, denke ich, der meiſte Theil ſeiner Kin- der. Bey Philoſophie und Gelehrſamkeit oft wie unwiſſend und unkraͤftig in Sachen des Lebens und des geſunden Verſtandes! Statt, daß in den alten Zeiten der philoſophiſche Geiſt nie fuͤr ſich allein beſtand, von Geſchaͤften ausgieng und zu Geſchaͤften eilte, alſo auch nur Zweck hatte, volle, geſunde, wuͤrkende Seelen zu ſchaffen, ſeit er allein ſtehet und Handwerk geworden — iſt er Handwerk. Der wievielſte Theil von euch betrachtet Logik, Metaphyſik, Moral, Phyſik, als was ſie ſind — Organe der menſchlichen Seele, Werk- zeuge, mit denen man wuͤrken ſoll! Vorbil- der von Gedankenformen, die nur unſrer Seele eine ihr eigne ſchoͤnere Gedankenform geben ſollen — dafuͤr ſchlaͤgt man mechaniſch ſeine Gedanken dahin ein, ſpielt und gaukelt — der abentheuerlichſte Burſche von Klopffechter! Er tanzt mit dem Degen auf dem akademiſchen Seile zur Bewundrung und Freude aller, die ringsum ſitzen, und dem großen Kuͤnſtler jauch- zen, daß er nicht Hals und Bein breche: — das iſt ſeine Kunſt. Ein Geſchaͤft auf der Welt wollt ihrs uͤbel beſorgt haben, ſo gebts dem Phi- G 3

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Zitationshilfe: [Herder, Johann Gottfried von]: Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit. [Riga], 1774, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_philosophie_1774/105>, abgerufen am 23.11.2024.