auf das Lob und glänzende Beispiel seiner Vor- fahren, auf Jndividualfälle seiner Regierung, auf einzelne Umstände seiner Reiche und Län- der sich ausbreiten: er würde insonderheit die Umstände und Seiten der Materie nuzzen, über die er singt, daß sein Gesang individual für seine Person, national für sein Land, pa- triotisch für seinen Helden, casual für den Vorfall, sekular für sein Zeitalter, und idio- tisch für seine Sprache wäre.
Wenn der griechische Pindar seinen Hel- den auch nur von seiner Vaterstadt lobet: wie weiß er jede merkwürdige Begebenheit die- ser Stadt, von ihrer Stiftung an, zu nuzzen: er zeichnet das Charakteristische derselben, ihre Vorzüge vor andern, die Vorfahren aus der Familie seines Helden: wo es das ehrwürdi- ge Alter und die Würde der Person erlaubt, kleidet er diesen und jenen Vorfahren und Stammvater in die Stralen Olymps, schlingt die genealogische Kette bis an den Thron ei- nes Gottes, oder macht einen Ort gleichsam dadurch heilig, daß hier vormals Götter ge- wandelt: so wird seine Ode vell Mythologie, aber warum? um sich als Gelehrter, als Ar-
tist
auf das Lob und glaͤnzende Beiſpiel ſeiner Vor- fahren, auf Jndividualfaͤlle ſeiner Regierung, auf einzelne Umſtaͤnde ſeiner Reiche und Laͤn- der ſich ausbreiten: er wuͤrde inſonderheit die Umſtaͤnde und Seiten der Materie nuzzen, uͤber die er ſingt, daß ſein Geſang individual fuͤr ſeine Perſon, national fuͤr ſein Land, pa- triotiſch fuͤr ſeinen Helden, caſual fuͤr den Vorfall, ſekular fuͤr ſein Zeitalter, und idio- tiſch fuͤr ſeine Sprache waͤre.
Wenn der griechiſche Pindar ſeinen Hel- den auch nur von ſeiner Vaterſtadt lobet: wie weiß er jede merkwuͤrdige Begebenheit die- ſer Stadt, von ihrer Stiftung an, zu nuzzen: er zeichnet das Charakteriſtiſche derſelben, ihre Vorzuͤge vor andern, die Vorfahren aus der Familie ſeines Helden: wo es das ehrwuͤrdi- ge Alter und die Wuͤrde der Perſon erlaubt, kleidet er dieſen und jenen Vorfahren und Stammvater in die Stralen Olymps, ſchlingt die genealogiſche Kette bis an den Thron ei- nes Gottes, oder macht einen Ort gleichſam dadurch heilig, daß hier vormals Goͤtter ge- wandelt: ſo wird ſeine Ode vell Mythologie, aber warum? um ſich als Gelehrter, als Ar-
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auf das Lob und glaͤnzende Beiſpiel ſeiner Vor-
fahren, auf Jndividualfaͤlle ſeiner Regierung,
auf einzelne Umſtaͤnde ſeiner Reiche und Laͤn-
der ſich ausbreiten: er wuͤrde inſonderheit die
Umſtaͤnde und Seiten der Materie nuzzen,
uͤber die er ſingt, daß ſein Geſang individual
fuͤr ſeine Perſon, national fuͤr ſein Land, pa-
triotiſch fuͤr ſeinen Helden, caſual fuͤr den
Vorfall, ſekular fuͤr ſein Zeitalter, und idio-
tiſch fuͤr ſeine Sprache waͤre.
Wenn der griechiſche Pindar ſeinen Hel-
den auch nur von ſeiner Vaterſtadt lobet:
wie weiß er jede merkwuͤrdige Begebenheit die-
ſer Stadt, von ihrer Stiftung an, zu nuzzen:
er zeichnet das Charakteriſtiſche derſelben, ihre
Vorzuͤge vor andern, die Vorfahren aus der
Familie ſeines Helden: wo es das ehrwuͤrdi-
ge Alter und die Wuͤrde der Perſon erlaubt,
kleidet er dieſen und jenen Vorfahren und
Stammvater in die Stralen Olymps, ſchlingt
die genealogiſche Kette bis an den Thron ei-
nes Gottes, oder macht einen Ort gleichſam
dadurch heilig, daß hier vormals Goͤtter ge-
wandelt: ſo wird ſeine Ode vell Mythologie,
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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/163>, abgerufen am 21.11.2024.
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