gegeben, und jeder gute gesunde Verstand muß also durch die Philosophie gleichsam hö- her geleitet werden. Sie sind ihm aber ver- worren gegeben, er soll sie durch die Abstrak- tion deutlich darstellen, und zergliedert sie also, so weit er kann.
Man sieht bei dem ersten Anblick, daß alle Weltweisheit ertödtet werde, wenn man sich begnügt, den Gedankenimplicitemit eben dem Ausdruck zu denken. Eben von ihm muß ich ihn absondern, ihn in andre kleinere Bestimmungen auflösen, ihn immer in ver- ständlichen, aber nach und nach in vernünf- tigern Worten zeigen, bis die Seele sich endlich gleichsam erinnert, was sie mit dem Worte gedacht hat, und vorher nicht sagen konnte, was sie in Platons Reich der Gei- ster sahe, und jetzt nochmals siehet, was in ihr schlummerte, und jetzt erwachet. -- Wenn wir nie ohne Worte Deutlich denken können: so ists eben der Zweck der Weltweis- heit, die blos verständlichen Worte so lan- ge umzusezzen, und zu wechseln, bis sie deut- lich werden; der Unterschied dieser beiden Ausdrücke ist eben dadurch geschwächt, daß
wir
gegeben, und jeder gute geſunde Verſtand muß alſo durch die Philoſophie gleichſam hoͤ- her geleitet werden. Sie ſind ihm aber ver- worren gegeben, er ſoll ſie durch die Abſtrak- tion deutlich darſtellen, und zergliedert ſie alſo, ſo weit er kann.
Man ſieht bei dem erſten Anblick, daß alle Weltweisheit ertoͤdtet werde, wenn man ſich begnuͤgt, den Gedankenimplicitemit eben dem Ausdruck zu denken. Eben von ihm muß ich ihn abſondern, ihn in andre kleinere Beſtimmungen aufloͤſen, ihn immer in ver- ſtaͤndlichen, aber nach und nach in vernuͤnf- tigern Worten zeigen, bis die Seele ſich endlich gleichſam erinnert, was ſie mit dem Worte gedacht hat, und vorher nicht ſagen konnte, was ſie in Platons Reich der Gei- ſter ſahe, und jetzt nochmals ſiehet, was in ihr ſchlummerte, und jetzt erwachet. — Wenn wir nie ohne Worte Deutlich denken koͤnnen: ſo iſts eben der Zweck der Weltweis- heit, die blos verſtaͤndlichen Worte ſo lan- ge umzuſezzen, und zu wechſeln, bis ſie deut- lich werden; der Unterſchied dieſer beiden Ausdruͤcke iſt eben dadurch geſchwaͤcht, daß
wir
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><p><pbfacs="#f0117"n="109"/>
gegeben, und jeder <hirendition="#fr">gute geſunde</hi> Verſtand<lb/>
muß alſo durch die Philoſophie gleichſam hoͤ-<lb/>
her geleitet werden. Sie ſind ihm aber <hirendition="#fr">ver-<lb/>
worren</hi> gegeben, er ſoll ſie durch die Abſtrak-<lb/>
tion <hirendition="#fr">deutlich</hi> darſtellen, und zergliedert ſie<lb/>
alſo, ſo weit er kann.</p><lb/><p>Man ſieht bei dem erſten Anblick, daß alle<lb/>
Weltweisheit ertoͤdtet werde, wenn man ſich<lb/>
begnuͤgt, den <hirendition="#fr">Gedanken</hi><hirendition="#aq">implicite</hi><hirendition="#fr">mit eben<lb/>
dem Ausdruck zu denken.</hi> Eben von <hirendition="#fr">ihm</hi><lb/>
muß ich ihn abſondern, ihn in andre kleinere<lb/>
Beſtimmungen aufloͤſen, ihn immer in <hirendition="#fr">ver-<lb/>ſtaͤndlichen,</hi> aber nach und nach in <hirendition="#fr">vernuͤnf-<lb/>
tigern Worten</hi> zeigen, bis die Seele ſich<lb/>
endlich gleichſam <hirendition="#fr">erinnert,</hi> was ſie mit dem<lb/>
Worte <hirendition="#fr">gedacht hat,</hi> und vorher nicht <hirendition="#fr">ſagen<lb/>
konnte,</hi> was ſie in Platons <hirendition="#fr">Reich der Gei-<lb/>ſter</hi>ſahe, und jetzt nochmals ſiehet, was in<lb/>
ihr ſchlummerte, und jetzt erwachet. —<lb/>
Wenn wir nie ohne Worte <hirendition="#fr">Deutlich denken</hi><lb/>
koͤnnen: ſo iſts eben der Zweck der Weltweis-<lb/>
heit, die blos <hirendition="#fr">verſtaͤndlichen Worte</hi>ſo lan-<lb/>
ge umzuſezzen, und zu wechſeln, bis ſie <hirendition="#fr">deut-<lb/>
lich</hi> werden; der Unterſchied dieſer beiden<lb/>
Ausdruͤcke iſt eben dadurch geſchwaͤcht, daß<lb/><fwplace="bottom"type="catch">wir</fw><lb/></p></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[109/0117]
gegeben, und jeder gute geſunde Verſtand
muß alſo durch die Philoſophie gleichſam hoͤ-
her geleitet werden. Sie ſind ihm aber ver-
worren gegeben, er ſoll ſie durch die Abſtrak-
tion deutlich darſtellen, und zergliedert ſie
alſo, ſo weit er kann.
Man ſieht bei dem erſten Anblick, daß alle
Weltweisheit ertoͤdtet werde, wenn man ſich
begnuͤgt, den Gedanken implicite mit eben
dem Ausdruck zu denken. Eben von ihm
muß ich ihn abſondern, ihn in andre kleinere
Beſtimmungen aufloͤſen, ihn immer in ver-
ſtaͤndlichen, aber nach und nach in vernuͤnf-
tigern Worten zeigen, bis die Seele ſich
endlich gleichſam erinnert, was ſie mit dem
Worte gedacht hat, und vorher nicht ſagen
konnte, was ſie in Platons Reich der Gei-
ſter ſahe, und jetzt nochmals ſiehet, was in
ihr ſchlummerte, und jetzt erwachet. —
Wenn wir nie ohne Worte Deutlich denken
koͤnnen: ſo iſts eben der Zweck der Weltweis-
heit, die blos verſtaͤndlichen Worte ſo lan-
ge umzuſezzen, und zu wechſeln, bis ſie deut-
lich werden; der Unterſchied dieſer beiden
Ausdruͤcke iſt eben dadurch geſchwaͤcht, daß
wir
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/117>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.