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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767.

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"uns die wahren unterscheidenden Züge, den
"A[u]sdruck und den Farbenton des fremden
"Originals, seinen herrschenden Charakter,
"sein Genie und die Natur seiner Dichtungs-
"art richtig ausdrückten." * -- Dies ist
freilich sehr viel; aber für mein Jdeal eines
Uebersezzers noch nicht gnug. Die meisten
Uebersezzer wollen doch gern ein Wort mitre-
den, in der Vorrede, in Kritischen Noten, oder
im Leben ihres Autors, und die meisten reden
in der Vorrede Complimente, oder von den
Ausgaben ihres Autors: in den Noten aber
oft langweilige Erklärungen, die dem Leser
keinen guten gesunden Hausverstand zutrauen;
oder Zänkereien, die ihn noch weit weniger
angehen, oder ein Kram von Philologischer
Gelehrsamkeit. Endlich wird das Leben des
Autors dazu übersezzt: und so ist ein Buch
fertig: für den Uebersezzer Tagelohn, für den
Verleger Meßgut, für den Käufer ein Buch
in seine Bibliothek: für die Litteratur? nichts!
oder Schade! Null oder negative Größe.
Aber --

Wenn
* Litt. Br. Th. 18.

„uns die wahren unterſcheidenden Zuͤge, den
„A[u]sdruck und den Farbenton des fremden
„Originals, ſeinen herrſchenden Charakter,
„ſein Genie und die Natur ſeiner Dichtungs-
„art richtig ausdruͤckten.„ * — Dies iſt
freilich ſehr viel; aber fuͤr mein Jdeal eines
Ueberſezzers noch nicht gnug. Die meiſten
Ueberſezzer wollen doch gern ein Wort mitre-
den, in der Vorrede, in Kritiſchen Noten, oder
im Leben ihres Autors, und die meiſten reden
in der Vorrede Complimente, oder von den
Ausgaben ihres Autors: in den Noten aber
oft langweilige Erklaͤrungen, die dem Leſer
keinen guten geſunden Hausverſtand zutrauen;
oder Zaͤnkereien, die ihn noch weit weniger
angehen, oder ein Kram von Philologiſcher
Gelehrſamkeit. Endlich wird das Leben des
Autors dazu uͤberſezzt: und ſo iſt ein Buch
fertig: fuͤr den Ueberſezzer Tagelohn, fuͤr den
Verleger Meßgut, fuͤr den Kaͤufer ein Buch
in ſeine Bibliothek: fuͤr die Litteratur? nichts!
oder Schade! Null oder negative Groͤße.
Aber —

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* Litt. Br. Th. 18.
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[264/0096] „uns die wahren unterſcheidenden Zuͤge, den „Ausdruck und den Farbenton des fremden „Originals, ſeinen herrſchenden Charakter, „ſein Genie und die Natur ſeiner Dichtungs- „art richtig ausdruͤckten.„ * — Dies iſt freilich ſehr viel; aber fuͤr mein Jdeal eines Ueberſezzers noch nicht gnug. Die meiſten Ueberſezzer wollen doch gern ein Wort mitre- den, in der Vorrede, in Kritiſchen Noten, oder im Leben ihres Autors, und die meiſten reden in der Vorrede Complimente, oder von den Ausgaben ihres Autors: in den Noten aber oft langweilige Erklaͤrungen, die dem Leſer keinen guten geſunden Hausverſtand zutrauen; oder Zaͤnkereien, die ihn noch weit weniger angehen, oder ein Kram von Philologiſcher Gelehrſamkeit. Endlich wird das Leben des Autors dazu uͤberſezzt: und ſo iſt ein Buch fertig: fuͤr den Ueberſezzer Tagelohn, fuͤr den Verleger Meßgut, fuͤr den Kaͤufer ein Buch in ſeine Bibliothek: fuͤr die Litteratur? nichts! oder Schade! Null oder negative Groͤße. Aber — Wenn * Litt. Br. Th. 18.

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767, S. 264. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur02_1767/96>, abgerufen am 05.12.2024.