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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767.

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"Zeit, da ich ihn lese, und auch noch län-
"ger, vergesse, daß es ein Gedicht ist."

Rabbi. Wenn der Schauplatz und die
meisten Auftritte in einem Christlichen Ge-
dichte nicht recht Jüdisch sind: so wundere
ich mich nicht eben; ein Christ, wie die
meisten sind, halten unsern Staat, Sitten
und Gebräuche für zu niedrig, als sie zu stu-
diren, und sie müssen doch studirt werden,
weil sie von dem Geist der heutigen Zeit sich
so weit entfernen. Aber Klopstock, der wi-
der dies Jüdische Costume nie offenbar han-
delt, und der es oft in feinen Zügen bemerkt,
diesem wünschte ich, daß er Nationalgeist
und Jüdische Laune durchgängig in sein
Ganzes
gebracht hätte. Dazu gehört viel,
aber das zeigt von Genie und zaubert uns
mitten unter andre Völker.

Christ. Mir ist eure Pünktlichkeit und
euer Talmudischer Stolz in Cerimonien zu
fremde, um darüber urtheilen zu können;
aber was sollte sein Meßias eher und wür-
diger seyn: als ein Lied des Ursprunges
unsrer Religion.
Jeder Christ fodert es,
und kann es fodern, daß sein Meßias als

ein

„Zeit, da ich ihn leſe, und auch noch laͤn-
„ger, vergeſſe, daß es ein Gedicht iſt.„

Rabbi. Wenn der Schauplatz und die
meiſten Auftritte in einem Chriſtlichen Ge-
dichte nicht recht Juͤdiſch ſind: ſo wundere
ich mich nicht eben; ein Chriſt, wie die
meiſten ſind, halten unſern Staat, Sitten
und Gebraͤuche fuͤr zu niedrig, als ſie zu ſtu-
diren, und ſie muͤſſen doch ſtudirt werden,
weil ſie von dem Geiſt der heutigen Zeit ſich
ſo weit entfernen. Aber Klopſtock, der wi-
der dies Juͤdiſche Coſtume nie offenbar han-
delt, und der es oft in feinen Zuͤgen bemerkt,
dieſem wuͤnſchte ich, daß er Nationalgeiſt
und Juͤdiſche Laune durchgaͤngig in ſein
Ganzes
gebracht haͤtte. Dazu gehoͤrt viel,
aber das zeigt von Genie und zaubert uns
mitten unter andre Voͤlker.

Chriſt. Mir iſt eure Puͤnktlichkeit und
euer Talmudiſcher Stolz in Cerimonien zu
fremde, um daruͤber urtheilen zu koͤnnen;
aber was ſollte ſein Meßias eher und wuͤr-
diger ſeyn: als ein Lied des Urſprunges
unſrer Religion.
Jeder Chriſt fodert es,
und kann es fodern, daß ſein Meßias als

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[248/0080] „Zeit, da ich ihn leſe, und auch noch laͤn- „ger, vergeſſe, daß es ein Gedicht iſt.„ Rabbi. Wenn der Schauplatz und die meiſten Auftritte in einem Chriſtlichen Ge- dichte nicht recht Juͤdiſch ſind: ſo wundere ich mich nicht eben; ein Chriſt, wie die meiſten ſind, halten unſern Staat, Sitten und Gebraͤuche fuͤr zu niedrig, als ſie zu ſtu- diren, und ſie muͤſſen doch ſtudirt werden, weil ſie von dem Geiſt der heutigen Zeit ſich ſo weit entfernen. Aber Klopſtock, der wi- der dies Juͤdiſche Coſtume nie offenbar han- delt, und der es oft in feinen Zuͤgen bemerkt, dieſem wuͤnſchte ich, daß er Nationalgeiſt und Juͤdiſche Laune durchgaͤngig in ſein Ganzes gebracht haͤtte. Dazu gehoͤrt viel, aber das zeigt von Genie und zaubert uns mitten unter andre Voͤlker. Chriſt. Mir iſt eure Puͤnktlichkeit und euer Talmudiſcher Stolz in Cerimonien zu fremde, um daruͤber urtheilen zu koͤnnen; aber was ſollte ſein Meßias eher und wuͤr- diger ſeyn: als ein Lied des Urſprunges unſrer Religion. Jeder Chriſt fodert es, und kann es fodern, daß ſein Meßias als ein

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767, S. 248. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur02_1767/80>, abgerufen am 22.11.2024.