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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767.

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chen Localfarben aus Norden gemahlet, als
in verschiedenen andern Gegenden hier Dra-
chen und dort Elephanten, das Paradies und
die Hölle der Araber, die Brücke Poul-Serra
der Perser, und die Schildkrötengeschichten
der Amerikaner gezeichnet sind. Es wäre
ein angenehmer und nützlicher Versuch, diese
Nationalvorurtheile vieler Völker zu sammlen,
zu vergleichen, und zu erklären.

Für den Dichter sind dieses Nationalvor-
theile, die ihm nicht immer entwandt wer-
den können, ohne ungereimt, oder lächerlich
zu werden. Miltons Brücke über das Chaos
mag freilich im Munde eines Arabers, des
Sadi, besser klingen, als in dem seinigen:
Klopstocks Oefnungen am Nordpol, seine äthe-
rischen Wege, seine Sonnen im Mittelpunkte
der Erde dörften vielleicht zu sehr die Wir-
belwelt der Leser verrücken, sie mögen ehrlich
Ptolomäisch, oder Copernikanisch denken; die-
se Erdichtungen scheinen selbst einer sinnlichen
Denkart entgegen. Und übersiebt man über-
dem die Erdichtungen, die die Schweizer in
ihre Morgenländische Gedichte eingewebet;
(vom Blute des unschuldigen Abels, bis auf

das

chen Localfarben aus Norden gemahlet, als
in verſchiedenen andern Gegenden hier Dra-
chen und dort Elephanten, das Paradies und
die Hoͤlle der Araber, die Bruͤcke Poul-Serra
der Perſer, und die Schildkroͤtengeſchichten
der Amerikaner gezeichnet ſind. Es waͤre
ein angenehmer und nuͤtzlicher Verſuch, dieſe
Nationalvorurtheile vieler Voͤlker zu ſammlen,
zu vergleichen, und zu erklaͤren.

Fuͤr den Dichter ſind dieſes Nationalvor-
theile, die ihm nicht immer entwandt wer-
den koͤnnen, ohne ungereimt, oder laͤcherlich
zu werden. Miltons Bruͤcke uͤber das Chaos
mag freilich im Munde eines Arabers, des
Sadi, beſſer klingen, als in dem ſeinigen:
Klopſtocks Oefnungen am Nordpol, ſeine aͤthe-
riſchen Wege, ſeine Sonnen im Mittelpunkte
der Erde doͤrften vielleicht zu ſehr die Wir-
belwelt der Leſer verruͤcken, ſie moͤgen ehrlich
Ptolomaͤiſch, oder Copernikaniſch denken; die-
ſe Erdichtungen ſcheinen ſelbſt einer ſinnlichen
Denkart entgegen. Und uͤberſiebt man uͤber-
dem die Erdichtungen, die die Schweizer in
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(vom Blute des unſchuldigen Abels, bis auf

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[220/0052] chen Localfarben aus Norden gemahlet, als in verſchiedenen andern Gegenden hier Dra- chen und dort Elephanten, das Paradies und die Hoͤlle der Araber, die Bruͤcke Poul-Serra der Perſer, und die Schildkroͤtengeſchichten der Amerikaner gezeichnet ſind. Es waͤre ein angenehmer und nuͤtzlicher Verſuch, dieſe Nationalvorurtheile vieler Voͤlker zu ſammlen, zu vergleichen, und zu erklaͤren. Fuͤr den Dichter ſind dieſes Nationalvor- theile, die ihm nicht immer entwandt wer- den koͤnnen, ohne ungereimt, oder laͤcherlich zu werden. Miltons Bruͤcke uͤber das Chaos mag freilich im Munde eines Arabers, des Sadi, beſſer klingen, als in dem ſeinigen: Klopſtocks Oefnungen am Nordpol, ſeine aͤthe- riſchen Wege, ſeine Sonnen im Mittelpunkte der Erde doͤrften vielleicht zu ſehr die Wir- belwelt der Leſer verruͤcken, ſie moͤgen ehrlich Ptolomaͤiſch, oder Copernikaniſch denken; die- ſe Erdichtungen ſcheinen ſelbſt einer ſinnlichen Denkart entgegen. Und uͤberſiebt man uͤber- dem die Erdichtungen, die die Schweizer in ihre Morgenlaͤndiſche Gedichte eingewebet; (vom Blute des unſchuldigen Abels, bis auf das

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur02_1767/52>, abgerufen am 24.11.2024.