Seitdem der Nationalstolz einer gewissen, Schule in Deutschland sich etwas ge- beuget hat: "unser Deutschland dörfe kei- "nem Volk, es sey alt oder neu, wenn es nur "Undeutsch ist, an Werken der Einbildungs- "kraft etwas nachgeben" -- seitdem die Nach- ahmungssucht einer andern Sekte auch etwas kalt geworden: man müsse, was nur Orien- talisch, Griechisch und Brittisch hieße, durch rauhe Kopien auf Halbdeutschen Boden ver- pflanzen; seitdem Kunstrichter, durch bei- de Abwege gewarnt, die Mittelstraße wähl- ten, und auf den Trümmern Gottschedischer Originalwerke und Schweizerischer Nachah- mungen, die Deutsche Litteratur übersahen: seit der Zeit ist keine Klage lauter, und häu- figer, * als über den Mangel von Origina- len, von Genies, von Erfindern -- Be- schwerden über die Nachahmungs- und gedan- kenlose Schreibsucht der Deutschen.
Die Litteraturbriefe unterschieden sich gleich vom Anfange durch den eifernden Ton
hier-
* Litt. Br. Th. 1-24.
Einleitung.
Seitdem der Nationalſtolz einer gewiſſen, Schule in Deutſchland ſich etwas ge- beuget hat: „unſer Deutſchland doͤrfe kei- „nem Volk, es ſey alt oder neu, wenn es nur „Undeutſch iſt, an Werken der Einbildungs- „kraft etwas nachgeben„ — ſeitdem die Nach- ahmungsſucht einer andern Sekte auch etwas kalt geworden: man muͤſſe, was nur Orien- taliſch, Griechiſch und Brittiſch hieße, durch rauhe Kopien auf Halbdeutſchen Boden ver- pflanzen; ſeitdem Kunſtrichter, durch bei- de Abwege gewarnt, die Mittelſtraße waͤhl- ten, und auf den Truͤmmern Gottſchediſcher Originalwerke und Schweizeriſcher Nachah- mungen, die Deutſche Litteratur uͤberſahen: ſeit der Zeit iſt keine Klage lauter, und haͤu- figer, * als uͤber den Mangel von Origina- len, von Genies, von Erfindern — Be- ſchwerden uͤber die Nachahmungs- und gedan- kenloſe Schreibſucht der Deutſchen.
Die Litteraturbriefe unterſchieden ſich gleich vom Anfange durch den eifernden Ton
hier-
* Litt. Br. Th. 1-24.
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Einleitung.
Seitdem der Nationalſtolz einer gewiſſen,
Schule in Deutſchland ſich etwas ge-
beuget hat: „unſer Deutſchland doͤrfe kei-
„nem Volk, es ſey alt oder neu, wenn es nur
„Undeutſch iſt, an Werken der Einbildungs-
„kraft etwas nachgeben„ — ſeitdem die Nach-
ahmungsſucht einer andern Sekte auch etwas
kalt geworden: man muͤſſe, was nur Orien-
taliſch, Griechiſch und Brittiſch hieße, durch
rauhe Kopien auf Halbdeutſchen Boden ver-
pflanzen; ſeitdem Kunſtrichter, durch bei-
de Abwege gewarnt, die Mittelſtraße waͤhl-
ten, und auf den Truͤmmern Gottſchediſcher
Originalwerke und Schweizeriſcher Nachah-
mungen, die Deutſche Litteratur uͤberſahen:
ſeit der Zeit iſt keine Klage lauter, und haͤu-
figer, * als uͤber den Mangel von Origina-
len, von Genies, von Erfindern — Be-
ſchwerden uͤber die Nachahmungs- und gedan-
kenloſe Schreibſucht der Deutſchen.
Die Litteraturbriefe unterſchieden ſich
gleich vom Anfange durch den eifernden Ton
hier-
* Litt. Br. Th. 1-24.
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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur02_1767/32>, abgerufen am 16.07.2024.
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