gen Schriften; bei schlechten hätten sie es mehr thun sollen und können.
Die entgegen gesezte Straße ist, Stellen herausnehmen, um an ihnen zum Ritter zu werden: Oerter zu suchen, wo man seine Lieblingsgedanken ausschüttet. Dies unter- hält; aber oft auf Kosten des Autors. War- um gab aber der Nordische Aufseher z. E. Blößen, wo man ihn angreifen konnte? So wird der Vertheidiger, aber nicht der Angeta- stete, fragen.
Man muß mehr Kunstrichter über Fehler, als Schönheiten seyn! insonderheit Schrift- steller auszubilden. So lange man nicht Werke liefert, bei denen es selbst schwer war, zwei Fehler zu erwischen, bei denen wenigstens die Schönheiten überwiegend sind, bei denen kein falscher Geschmack zu merken oder zu fürchten ist: so kann der Kunstrichter immer sich die leichtere Arbeit wählen, Fehler zu be- merken: eine Arbeit, die ihm überdem Wür- de gibt. -- Und das selbst bei guten Ver- fassern! Wo viele Schönheiten sind, muß ich auch die kleinsten Fehler rügen: die Schön- heiten findet das Genie selbst, und der Kunst-
rich-
gen Schriften; bei ſchlechten haͤtten ſie es mehr thun ſollen und koͤnnen.
Die entgegen geſezte Straße iſt, Stellen herausnehmen, um an ihnen zum Ritter zu werden: Oerter zu ſuchen, wo man ſeine Lieblingsgedanken ausſchuͤttet. Dies unter- haͤlt; aber oft auf Koſten des Autors. War- um gab aber der Nordiſche Aufſeher z. E. Bloͤßen, wo man ihn angreifen konnte? So wird der Vertheidiger, aber nicht der Angeta- ſtete, fragen.
Man muß mehr Kunſtrichter uͤber Fehler, als Schoͤnheiten ſeyn! inſonderheit Schrift- ſteller auszubilden. So lange man nicht Werke liefert, bei denen es ſelbſt ſchwer war, zwei Fehler zu erwiſchen, bei denen wenigſtens die Schoͤnheiten uͤberwiegend ſind, bei denen kein falſcher Geſchmack zu merken oder zu fuͤrchten iſt: ſo kann der Kunſtrichter immer ſich die leichtere Arbeit waͤhlen, Fehler zu be- merken: eine Arbeit, die ihm uͤberdem Wuͤr- de gibt. — Und das ſelbſt bei guten Ver- faſſern! Wo viele Schoͤnheiten ſind, muß ich auch die kleinſten Fehler ruͤgen: die Schoͤn- heiten findet das Genie ſelbſt, und der Kunſt-
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gen Schriften; bei ſchlechten haͤtten ſie es
mehr thun ſollen und koͤnnen.
Die entgegen geſezte Straße iſt, Stellen
herausnehmen, um an ihnen zum Ritter zu
werden: Oerter zu ſuchen, wo man ſeine
Lieblingsgedanken ausſchuͤttet. Dies unter-
haͤlt; aber oft auf Koſten des Autors. War-
um gab aber der Nordiſche Aufſeher z. E.
Bloͤßen, wo man ihn angreifen konnte? So
wird der Vertheidiger, aber nicht der Angeta-
ſtete, fragen.
Man muß mehr Kunſtrichter uͤber Fehler,
als Schoͤnheiten ſeyn! inſonderheit Schrift-
ſteller auszubilden. So lange man nicht
Werke liefert, bei denen es ſelbſt ſchwer war,
zwei Fehler zu erwiſchen, bei denen wenigſtens
die Schoͤnheiten uͤberwiegend ſind, bei denen
kein falſcher Geſchmack zu merken oder zu
fuͤrchten iſt: ſo kann der Kunſtrichter immer
ſich die leichtere Arbeit waͤhlen, Fehler zu be-
merken: eine Arbeit, die ihm uͤberdem Wuͤr-
de gibt. — Und das ſelbſt bei guten Ver-
faſſern! Wo viele Schoͤnheiten ſind, muß ich
auch die kleinſten Fehler ruͤgen: die Schoͤn-
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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur02_1767/27>, abgerufen am 16.07.2024.
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