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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767.

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gemäßer, daß er seine Bilder, gleichsam un-
sichtbar in die Seele malet, so wie die sinn-
lichen Griechen sich an ihrem sinnlichen Ho-
mer ergötzten; vielleicht übertrift das Mo-
ralische
im K. alles schöne Sinnliche im
Homer; ja vielleicht ist sein großes Talent,
die Seele zu schildern, mehr werth, als alles
im alten Griechen -- alles dieses vielleicht
sey meinethalben gewiß; eine so nüzliche Un-
tersuchung mag eine Poetische Bibliothek
zur Chre der Deutschen
anstellen.*

Jch schweife hier lieber auf den Macht-
spruch eines Kunstrichters aus: "Homer ward
"eben so wenig von allen Griechen verstanden,
"als K. von allen Deutschen!** Die wahren
"Kenner der Dichtkunst sind zu allen Zeiten in
"allen Ländern eben so rar, als die Dicht[er]
"selbst gewesen! So ist es wirklich!" Ohn-
geachtet dieses Wirklich hier als ein Amen
stehet; so will ich doch eben nicht im zweiten
Chor antworten: Amen! sondern etwas
ausnehmen.

Daß alle Griechen den Homer verstanden,
wer wird dies behaupten, der jemals die Grie-

chen
* Littr. Br. Th. 19. p. 155. 156.
** Litter. Br. Th. 1. p. 49.
T 2

gemaͤßer, daß er ſeine Bilder, gleichſam un-
ſichtbar in die Seele malet, ſo wie die ſinn-
lichen Griechen ſich an ihrem ſinnlichen Ho-
mer ergoͤtzten; vielleicht uͤbertrift das Mo-
raliſche
im K. alles ſchoͤne Sinnliche im
Homer; ja vielleicht iſt ſein großes Talent,
die Seele zu ſchildern, mehr werth, als alles
im alten Griechen — alles dieſes vielleicht
ſey meinethalben gewiß; eine ſo nuͤzliche Un-
terſuchung mag eine Poetiſche Bibliothek
zur Chre der Deutſchen
anſtellen.*

Jch ſchweife hier lieber auf den Macht-
ſpruch eines Kunſtrichters aus: „Homer ward
„eben ſo wenig von allen Griechen verſtanden,
„als K. von allen Deutſchen!** Die wahren
„Kenner der Dichtkunſt ſind zu allen Zeiten in
„allen Laͤndern eben ſo rar, als die Dicht[er]
„ſelbſt geweſen! So iſt es wirklich!„ Ohn-
geachtet dieſes Wirklich hier als ein Amen
ſtehet; ſo will ich doch eben nicht im zweiten
Chor antworten: Amen! ſondern etwas
ausnehmen.

Daß alle Griechen den Homer verſtanden,
wer wird dies behaupten, der jemals die Grie-

chen
* Littr. Br. Th. 19. p. 155. 156.
** Litter. Br. Th. 1. p. 49.
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[279/0111] gemaͤßer, daß er ſeine Bilder, gleichſam un- ſichtbar in die Seele malet, ſo wie die ſinn- lichen Griechen ſich an ihrem ſinnlichen Ho- mer ergoͤtzten; vielleicht uͤbertrift das Mo- raliſche im K. alles ſchoͤne Sinnliche im Homer; ja vielleicht iſt ſein großes Talent, die Seele zu ſchildern, mehr werth, als alles im alten Griechen — alles dieſes vielleicht ſey meinethalben gewiß; eine ſo nuͤzliche Un- terſuchung mag eine Poetiſche Bibliothek zur Chre der Deutſchen anſtellen. * Jch ſchweife hier lieber auf den Macht- ſpruch eines Kunſtrichters aus: „Homer ward „eben ſo wenig von allen Griechen verſtanden, „als K. von allen Deutſchen! ** Die wahren „Kenner der Dichtkunſt ſind zu allen Zeiten in „allen Laͤndern eben ſo rar, als die Dichter „ſelbſt geweſen! So iſt es wirklich!„ Ohn- geachtet dieſes Wirklich hier als ein Amen ſtehet; ſo will ich doch eben nicht im zweiten Chor antworten: Amen! ſondern etwas ausnehmen. Daß alle Griechen den Homer verſtanden, wer wird dies behaupten, der jemals die Grie- chen * Littr. Br. Th. 19. p. 155. 156. ** Litter. Br. Th. 1. p. 49. T 2

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767, S. 279. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur02_1767/111>, abgerufen am 21.11.2024.