"unserer Sprache zu helfen suchen, und wenn "sie uns ihre Hülfe entzieht, doch Wendun- "gen ausdenken, dadurch dieser Mangel er- "sezzt wird. *" -- Jn diesem Gesichts- punkt -- wie manche Vorzüge um das Ver- gnügen im Lesen, um das Deutsche Ohr, und die Deutsche Sprache, hat nicht der Magdeburgische Uebersezzer des Tacitus vor dem Hamburger.
Und Tacitus ist mehr für unsre Zeiten ein Muster, als Livius. Jn seinem Geist der Erzählung? gewiß: denn die sorgfältigen Erzählungen von allerlei Wunderzeichen ge- hörten zu des Livius Zeiten zur Geschichte, die ihre Religion unterstüzzen sollte: die vie- len eingestreueten Reden schmecken auch nach dem Geist der damaligen Zeit, wo Beredsam- keit eine nothwendige Eigenschaft des Bür- gers war: die enthusiastischen Wunder der Tapferkeit von Personen beiderlei Geschlechts, belebten einen Römer, einen Republikaner auch zu einem Patriotismus, der in unsrer Zeit eine andre Wendung genommen. Hin- gegen Tacitus mit seinen Reflexionen, die in
den
* Th. 9. p. 127. und Th. 17. p. 187.
F 3
„unſerer Sprache zu helfen ſuchen, und wenn „ſie uns ihre Huͤlfe entzieht, doch Wendun- „gen ausdenken, dadurch dieſer Mangel er- „ſezzt wird. *„ — Jn dieſem Geſichts- punkt — wie manche Vorzuͤge um das Ver- gnuͤgen im Leſen, um das Deutſche Ohr, und die Deutſche Sprache, hat nicht der Magdeburgiſche Ueberſezzer des Tacitus vor dem Hamburger.
Und Tacitus iſt mehr fuͤr unſre Zeiten ein Muſter, als Livius. Jn ſeinem Geiſt der Erzaͤhlung? gewiß: denn die ſorgfaͤltigen Erzaͤhlungen von allerlei Wunderzeichen ge- hoͤrten zu des Livius Zeiten zur Geſchichte, die ihre Religion unterſtuͤzzen ſollte: die vie- len eingeſtreueten Reden ſchmecken auch nach dem Geiſt der damaligen Zeit, wo Beredſam- keit eine nothwendige Eigenſchaft des Buͤr- gers war: die enthuſiaſtiſchen Wunder der Tapferkeit von Perſonen beiderlei Geſchlechts, belebten einen Roͤmer, einen Republikaner auch zu einem Patriotismus, der in unſrer Zeit eine andre Wendung genommen. Hin- gegen Tacitus mit ſeinen Reflexionen, die in
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* Th. 9. p. 127. und Th. 17. p. 187.
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„unſerer Sprache zu helfen ſuchen, und wenn
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„ſezzt wird. *„ — Jn dieſem Geſichts-
punkt — wie manche Vorzuͤge um das Ver-
gnuͤgen im Leſen, um das Deutſche Ohr,
und die Deutſche Sprache, hat nicht der
Magdeburgiſche Ueberſezzer des Tacitus vor
dem Hamburger.
Und Tacitus iſt mehr fuͤr unſre Zeiten
ein Muſter, als Livius. Jn ſeinem Geiſt
der Erzaͤhlung? gewiß: denn die ſorgfaͤltigen
Erzaͤhlungen von allerlei Wunderzeichen ge-
hoͤrten zu des Livius Zeiten zur Geſchichte,
die ihre Religion unterſtuͤzzen ſollte: die vie-
len eingeſtreueten Reden ſchmecken auch nach
dem Geiſt der damaligen Zeit, wo Beredſam-
keit eine nothwendige Eigenſchaft des Buͤr-
gers war: die enthuſiaſtiſchen Wunder der
Tapferkeit von Perſonen beiderlei Geſchlechts,
belebten einen Roͤmer, einen Republikaner
auch zu einem Patriotismus, der in unſrer
Zeit eine andre Wendung genommen. Hin-
gegen Tacitus mit ſeinen Reflexionen, die in
den
* Th. 9. p. 127. und Th. 17. p. 187.
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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 1. Riga, 1767, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur01_1767/89>, abgerufen am 16.02.2025.
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