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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 1. Riga, 1767.

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lebet wohl, ihr Dichter! ihr müßt von selbst
Abschied nehmen.
"2) Eine gnugsame Anzahl deutlicher Len-
"kungen," und
"3) eine Biegsamkeit in der Zusammensez-
"zung vieler Wörter in einen Sazz, damit
"ein ganzer Gedanke richtig, bestimmt und
"nach Beschaffenheit der Sache leicht und nach-
"drücklich ausgedruckt werde." Hier steigt
schon der Weltweise etwas herunter, weil er
sieht, daß seine Sprache von Menschenkindern
geredet werden soll. Wenn der Weise sich
ganz genau, ganz richtig und bestimmt aus-
drucken will: so braucht er keinen biegsamen,
keinen leichten, keinen nachdrücklichen Perioden;
die Richtigkeit ist steif, die Gründlichkeit vest,
und die Ueberzeugung statt des Nachdrucks.
"4) Eine hinlängliche Mannigfaltigkeit
"langer und kurzer, hoher und tiefer, heller
"und dunkler Sylben, und der daher entste-
"henden Füße, Perioden und Versarten." Ei-
ne vollkommene Sprache braucht diese gar
nicht. Wenn wir blos als Geister einander
Begriffe in die Seele reden: so fragen wir
nicht nach hohen und tiefen Sylben: so we-
nig
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lebet wohl, ihr Dichter! ihr muͤßt von ſelbſt
Abſchied nehmen.
„2) Eine gnugſame Anzahl deutlicher Len-
„kungen,„ und
„3) eine Biegſamkeit in der Zuſammenſez-
„zung vieler Woͤrter in einen Sazz, damit
„ein ganzer Gedanke richtig, beſtimmt und
„nach Beſchaffenheit der Sache leicht und nach-
„druͤcklich ausgedruckt werde.„ Hier ſteigt
ſchon der Weltweiſe etwas herunter, weil er
ſieht, daß ſeine Sprache von Menſchenkindern
geredet werden ſoll. Wenn der Weiſe ſich
ganz genau, ganz richtig und beſtimmt aus-
drucken will: ſo braucht er keinen biegſamen,
keinen leichten, keinen nachdruͤcklichen Perioden;
die Richtigkeit iſt ſteif, die Gruͤndlichkeit veſt,
und die Ueberzeugung ſtatt des Nachdrucks.
„4) Eine hinlaͤngliche Mannigfaltigkeit
„langer und kurzer, hoher und tiefer, heller
„und dunkler Sylben, und der daher entſte-
„henden Fuͤße, Perioden und Versarten.„ Ei-
ne vollkommene Sprache braucht dieſe gar
nicht. Wenn wir blos als Geiſter einander
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[41/0045] lebet wohl, ihr Dichter! ihr muͤßt von ſelbſt Abſchied nehmen. „2) Eine gnugſame Anzahl deutlicher Len- „kungen,„ und „3) eine Biegſamkeit in der Zuſammenſez- „zung vieler Woͤrter in einen Sazz, damit „ein ganzer Gedanke richtig, beſtimmt und „nach Beſchaffenheit der Sache leicht und nach- „druͤcklich ausgedruckt werde.„ Hier ſteigt ſchon der Weltweiſe etwas herunter, weil er ſieht, daß ſeine Sprache von Menſchenkindern geredet werden ſoll. Wenn der Weiſe ſich ganz genau, ganz richtig und beſtimmt aus- drucken will: ſo braucht er keinen biegſamen, keinen leichten, keinen nachdruͤcklichen Perioden; die Richtigkeit iſt ſteif, die Gruͤndlichkeit veſt, und die Ueberzeugung ſtatt des Nachdrucks. „4) Eine hinlaͤngliche Mannigfaltigkeit „langer und kurzer, hoher und tiefer, heller „und dunkler Sylben, und der daher entſte- „henden Fuͤße, Perioden und Versarten.„ Ei- ne vollkommene Sprache braucht dieſe gar nicht. Wenn wir blos als Geiſter einander Begriffe in die Seele reden: ſo fragen wir nicht nach hohen und tiefen Sylben: ſo we- nig C 5

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 1. Riga, 1767, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur01_1767/45>, abgerufen am 21.11.2024.