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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 1. Riga, 1767.

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"nigstens, wie sie haben entstehen können? --
"Sollte es nicht daher kommen, weil uns die
"Sprachen so natürlich geworden, daß wir
"nicht ohne dieselben denken können? So
"wenig die Augen in ihrem natürlichen Zu-
"stande, das Werkzeug des Sehens, die Licht-
"stralen deutlich wahrnehmen: eben so we-
"nig mag vielleicht die Seele das Werkzeug
"ihrer Gedanken, die Sprache, bis auf ihren Ur-
"sprung untersuchen können -- Dies mag uns
"so lange zur Entschuldigung dienen, bis ein
"glücklicheres Genie die Entschuldigungen un-
"nöthig macht*. --"

Jch bin nicht dies glückliche Genie, sondern
sezze, da ich von einer ähnlichen, nicht aber der-
selben Aufgabe schreiben will, diese Entschuldi-
gungen zum Voraus, weil ich ihrer nöthig habe.

Jm 13. Theil der Litt. Briefe** kommen
Bemerkungen vor, die ich gleichsam meinem
Geist entwandt glaubte: sie gefielen mir aber
nicht so, daß ich nicht eine sorgfältigere Ent-
wikkelung, Auseinandersezzung und Anwendung
für möglich gehalten hätte Mein Aufsazz,
wo ich diese Materie weitläuftiger behandelt

hatte,
* Litter. Br. Th. 4. p. 366.
** p. 100.

„nigſtens, wie ſie haben entſtehen koͤnnen?
„Sollte es nicht daher kommen, weil uns die
„Sprachen ſo natuͤrlich geworden, daß wir
„nicht ohne dieſelben denken koͤnnen? So
„wenig die Augen in ihrem natuͤrlichen Zu-
„ſtande, das Werkzeug des Sehens, die Licht-
„ſtralen deutlich wahrnehmen: eben ſo we-
„nig mag vielleicht die Seele das Werkzeug
„ihrer Gedanken, die Sprache, bis auf ihren Ur-
„ſprung unterſuchen koͤnnen — Dies mag uns
„ſo lange zur Entſchuldigung dienen, bis ein
„gluͤcklicheres Genie die Entſchuldigungen un-
„noͤthig macht*. —„

Jch bin nicht dies gluͤckliche Genie, ſondern
ſezze, da ich von einer aͤhnlichen, nicht aber der-
ſelben Aufgabe ſchreiben will, dieſe Entſchuldi-
gungen zum Voraus, weil ich ihrer noͤthig habe.

Jm 13. Theil der Litt. Briefe** kommen
Bemerkungen vor, die ich gleichſam meinem
Geiſt entwandt glaubte: ſie gefielen mir aber
nicht ſo, daß ich nicht eine ſorgfaͤltigere Ent-
wikkelung, Auseinanderſezzung und Anwendung
fuͤr moͤglich gehalten haͤtte Mein Aufſazz,
wo ich dieſe Materie weitlaͤuftiger behandelt

hatte,
* Litter. Br. Th. 4. p. 366.
** p. 100.
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[24/0028] „nigſtens, wie ſie haben entſtehen koͤnnen? — „Sollte es nicht daher kommen, weil uns die „Sprachen ſo natuͤrlich geworden, daß wir „nicht ohne dieſelben denken koͤnnen? So „wenig die Augen in ihrem natuͤrlichen Zu- „ſtande, das Werkzeug des Sehens, die Licht- „ſtralen deutlich wahrnehmen: eben ſo we- „nig mag vielleicht die Seele das Werkzeug „ihrer Gedanken, die Sprache, bis auf ihren Ur- „ſprung unterſuchen koͤnnen — Dies mag uns „ſo lange zur Entſchuldigung dienen, bis ein „gluͤcklicheres Genie die Entſchuldigungen un- „noͤthig macht *. —„ Jch bin nicht dies gluͤckliche Genie, ſondern ſezze, da ich von einer aͤhnlichen, nicht aber der- ſelben Aufgabe ſchreiben will, dieſe Entſchuldi- gungen zum Voraus, weil ich ihrer noͤthig habe. Jm 13. Theil der Litt. Briefe ** kommen Bemerkungen vor, die ich gleichſam meinem Geiſt entwandt glaubte: ſie gefielen mir aber nicht ſo, daß ich nicht eine ſorgfaͤltigere Ent- wikkelung, Auseinanderſezzung und Anwendung fuͤr moͤglich gehalten haͤtte Mein Aufſazz, wo ich dieſe Materie weitlaͤuftiger behandelt hatte, * Litter. Br. Th. 4. p. 366. ** p. 100.

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 1. Riga, 1767, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur01_1767/28>, abgerufen am 27.04.2024.