Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 1. Riga, 1767.

Bild:
<< vorherige Seite

Sprachen sich vorzüglich schön behandeln
lassen.

Materien der Weltweisheit theilen sich
am leichtsten jeder ausgebildeten Sprache mit,
weil man hier vorzüglich die Richtigkeit und
Deutlichkeit der Begriffe zum Hauptaugenmerk
hat, und diese sich in jeder über das Sinnli-
che erhabenen Sprache, obgleich nicht über-
all gleich leicht erreichen läßt. Daß man an
die neuere Lateinische Sprache hierinn so viel
Werth geknüpfet, die Weltweisheit gleichsam
nach ihren Worten bequemet, und den Be-
grif einem Ausdruck zu gut erfunden: ist zwar
durch eine langwierige Gewohnheit uns fast
zur zweiten Natur geworden, und eher nüz-
lich als schädlich. Man glaubt mit gewissen
geerbten Worten Schäzze zu besitzen, und
hat Hülsen statt des Kerns. Man machte
z. E. einem neuern Gottesgelehrten den Ein-
wurf, daß, wenn er seine Dogmatik Lateinisch
geschrieben, viele Heterodoxien weggefallen
wären; ich gebe es zu, beklage aber eine Or-
thodoxie, die so sehr von einer Sprache ab-
hängt, daß sie in derselben, wie in ihrem

Hause,
M

Sprachen ſich vorzuͤglich ſchoͤn behandeln
laſſen.

Materien der Weltweisheit theilen ſich
am leichtſten jeder ausgebildeten Sprache mit,
weil man hier vorzuͤglich die Richtigkeit und
Deutlichkeit der Begriffe zum Hauptaugenmerk
hat, und dieſe ſich in jeder uͤber das Sinnli-
che erhabenen Sprache, obgleich nicht uͤber-
all gleich leicht erreichen laͤßt. Daß man an
die neuere Lateiniſche Sprache hierinn ſo viel
Werth geknuͤpfet, die Weltweisheit gleichſam
nach ihren Worten bequemet, und den Be-
grif einem Ausdruck zu gut erfunden: iſt zwar
durch eine langwierige Gewohnheit uns faſt
zur zweiten Natur geworden, und eher nuͤz-
lich als ſchaͤdlich. Man glaubt mit gewiſſen
geerbten Worten Schaͤzze zu beſitzen, und
hat Huͤlſen ſtatt des Kerns. Man machte
z. E. einem neuern Gottesgelehrten den Ein-
wurf, daß, wenn er ſeine Dogmatik Lateiniſch
geſchrieben, viele Heterodoxien weggefallen
waͤren; ich gebe es zu, beklage aber eine Or-
thodoxie, die ſo ſehr von einer Sprache ab-
haͤngt, daß ſie in derſelben, wie in ihrem

Hauſe,
M
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0181" n="177"/>
Sprachen &#x017F;ich vorzu&#x0364;glich &#x017F;cho&#x0364;n behandeln<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
        <p>Materien der <hi rendition="#fr">Weltweisheit</hi> theilen &#x017F;ich<lb/>
am leicht&#x017F;ten jeder ausgebildeten Sprache mit,<lb/>
weil man hier vorzu&#x0364;glich die Richtigkeit und<lb/>
Deutlichkeit der Begriffe zum Hauptaugenmerk<lb/>
hat, und die&#x017F;e &#x017F;ich in jeder u&#x0364;ber das Sinnli-<lb/>
che erhabenen Sprache, obgleich nicht u&#x0364;ber-<lb/>
all gleich leicht erreichen la&#x0364;ßt. Daß man an<lb/>
die neuere Lateini&#x017F;che Sprache hierinn &#x017F;o viel<lb/>
Werth geknu&#x0364;pfet, die Weltweisheit gleich&#x017F;am<lb/>
nach ihren Worten bequemet, und den Be-<lb/>
grif einem Ausdruck zu gut erfunden: i&#x017F;t zwar<lb/>
durch eine langwierige Gewohnheit uns fa&#x017F;t<lb/>
zur zweiten Natur geworden, und eher nu&#x0364;z-<lb/>
lich als &#x017F;cha&#x0364;dlich. Man glaubt mit gewi&#x017F;&#x017F;en<lb/>
geerbten Worten Scha&#x0364;zze zu be&#x017F;itzen, und<lb/>
hat Hu&#x0364;l&#x017F;en &#x017F;tatt des Kerns. Man machte<lb/>
z. E. einem neuern Gottesgelehrten den Ein-<lb/>
wurf, daß, wenn er &#x017F;eine Dogmatik Lateini&#x017F;ch<lb/>
ge&#x017F;chrieben, viele Heterodoxien weggefallen<lb/>
wa&#x0364;ren; ich gebe es zu, beklage aber eine Or-<lb/>
thodoxie, die &#x017F;o &#x017F;ehr von einer Sprache ab-<lb/>
ha&#x0364;ngt, daß &#x017F;ie in der&#x017F;elben, wie in ihrem<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">M</fw><fw place="bottom" type="catch">Hau&#x017F;e,</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[177/0181] Sprachen ſich vorzuͤglich ſchoͤn behandeln laſſen. Materien der Weltweisheit theilen ſich am leichtſten jeder ausgebildeten Sprache mit, weil man hier vorzuͤglich die Richtigkeit und Deutlichkeit der Begriffe zum Hauptaugenmerk hat, und dieſe ſich in jeder uͤber das Sinnli- che erhabenen Sprache, obgleich nicht uͤber- all gleich leicht erreichen laͤßt. Daß man an die neuere Lateiniſche Sprache hierinn ſo viel Werth geknuͤpfet, die Weltweisheit gleichſam nach ihren Worten bequemet, und den Be- grif einem Ausdruck zu gut erfunden: iſt zwar durch eine langwierige Gewohnheit uns faſt zur zweiten Natur geworden, und eher nuͤz- lich als ſchaͤdlich. Man glaubt mit gewiſſen geerbten Worten Schaͤzze zu beſitzen, und hat Huͤlſen ſtatt des Kerns. Man machte z. E. einem neuern Gottesgelehrten den Ein- wurf, daß, wenn er ſeine Dogmatik Lateiniſch geſchrieben, viele Heterodoxien weggefallen waͤren; ich gebe es zu, beklage aber eine Or- thodoxie, die ſo ſehr von einer Sprache ab- haͤngt, daß ſie in derſelben, wie in ihrem Hauſe, M

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur01_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur01_1767/181
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 1. Riga, 1767, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur01_1767/181>, abgerufen am 24.11.2024.