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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 1. Riga, 1767.

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Man muß die Worte so ordnen, daß sie
bei aller möglichen Kürze keine doppelte Be-
ziehung der Abhängigkeit leiden:) Diese Zwei-
deutigkeit ist am ersten in Sprachen zu besor-
gen, die wenige Casus z. E. den Nominativ
und Accusativ gleich haben; die nach dem
vorigen zweiten Fall mit Zuschiebung kleiner
Wörter flectiren, und bei denen die Construk-
tionsordnung wenig bestimmt ist. Die erste
Unvollkommenheit äussert sich bei der Fran-
zösischen; die zweite bei dem schleppenden
Perioden der Deutschen, und die dritte bei
den elenden Lateinischen Perioden neuerer Bü-
cher, die sich jede Jnversion erlauben, weil sie
die Gesezze der alten Römer in ihrem vortrefli-
chen Perioden nicht kennen, der nichts unbe-
stimmt läßt, und doch für das Auge und
Ohr zugleich schreibt.

"Nach dieser Vorschrift müssen wir die
"Sprache der Schriftsteller ausbilden: denn
"dem Sprechenden helfen Geberden und der
"Ton der Stimme, den wahren Verstand be-
"stimmen, da hingegen alles dies im Buche
"wegfällt.)" Eine Sprache hat also ganz an-
dere Gesezze und Freiheiten, wenn ein Volk

sie

Man muß die Worte ſo ordnen, daß ſie
bei aller moͤglichen Kuͤrze keine doppelte Be-
ziehung der Abhaͤngigkeit leiden:) Dieſe Zwei-
deutigkeit iſt am erſten in Sprachen zu beſor-
gen, die wenige Caſus z. E. den Nominativ
und Accuſativ gleich haben; die nach dem
vorigen zweiten Fall mit Zuſchiebung kleiner
Woͤrter flectiren, und bei denen die Conſtruk-
tionsordnung wenig beſtimmt iſt. Die erſte
Unvollkommenheit aͤuſſert ſich bei der Fran-
zoͤſiſchen; die zweite bei dem ſchleppenden
Perioden der Deutſchen, und die dritte bei
den elenden Lateiniſchen Perioden neuerer Buͤ-
cher, die ſich jede Jnverſion erlauben, weil ſie
die Geſezze der alten Roͤmer in ihrem vortrefli-
chen Perioden nicht kennen, der nichts unbe-
ſtimmt laͤßt, und doch fuͤr das Auge und
Ohr zugleich ſchreibt.

„Nach dieſer Vorſchrift muͤſſen wir die
„Sprache der Schriftſteller ausbilden: denn
„dem Sprechenden helfen Geberden und der
„Ton der Stimme, den wahren Verſtand be-
„ſtimmen, da hingegen alles dies im Buche
„wegfaͤllt.)„ Eine Sprache hat alſo ganz an-
dere Geſezze und Freiheiten, wenn ein Volk

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[170/0174] Man muß die Worte ſo ordnen, daß ſie bei aller moͤglichen Kuͤrze keine doppelte Be- ziehung der Abhaͤngigkeit leiden:) Dieſe Zwei- deutigkeit iſt am erſten in Sprachen zu beſor- gen, die wenige Caſus z. E. den Nominativ und Accuſativ gleich haben; die nach dem vorigen zweiten Fall mit Zuſchiebung kleiner Woͤrter flectiren, und bei denen die Conſtruk- tionsordnung wenig beſtimmt iſt. Die erſte Unvollkommenheit aͤuſſert ſich bei der Fran- zoͤſiſchen; die zweite bei dem ſchleppenden Perioden der Deutſchen, und die dritte bei den elenden Lateiniſchen Perioden neuerer Buͤ- cher, die ſich jede Jnverſion erlauben, weil ſie die Geſezze der alten Roͤmer in ihrem vortrefli- chen Perioden nicht kennen, der nichts unbe- ſtimmt laͤßt, und doch fuͤr das Auge und Ohr zugleich ſchreibt. „Nach dieſer Vorſchrift muͤſſen wir die „Sprache der Schriftſteller ausbilden: denn „dem Sprechenden helfen Geberden und der „Ton der Stimme, den wahren Verſtand be- „ſtimmen, da hingegen alles dies im Buche „wegfaͤllt.)„ Eine Sprache hat alſo ganz an- dere Geſezze und Freiheiten, wenn ein Volk ſie

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 1. Riga, 1767, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur01_1767/174>, abgerufen am 22.11.2024.