Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 1. Riga, 1767.

Bild:
<< vorherige Seite

"reiche der Sprache ab.)" Der Reichthum
kann seyn in Namen der Sachen, oder in
Zeichen der Begriffe; der erste macht ei-
ne Sprache sinnlich oder Bilderreich; der
zweite abstrackt oder Gedankenreich; und
den Unterschied von beiden hat das 7te Frag-
ment zu zeigen gesucht. -- Der Wohlklang
hat mit Begriffen keine Verbindung, sondern
muß aus der Natur der Sprach- und Hör-
werkzeuge erklärt werden: eine Anwendung
auf unsre Sprache hat das 11te und 14te Frag-
ment versucht.

"Das erste Stück ist solcher Vollkommen-
"heiten fähig, die mit dem Tode der Sprache,
"wenn sie aufhört, Landessprache zu seyn, ver-
"löschen.)" Nicht blos mit dem Tode der
Sprache, sondern mit jedem Lebensalter ge-
hen gewisse Vollkommenheiten verloren, die
durch Vollkommenheiten eines andern Lebens-
alters ersezzt werden. So lange sich eine
Sprache bildet, als Sprache der Nothwen-
Digkeit,
ist bei allen Ungemächlichkeiten der
Armuth ihr Vortheil Stärke: wenn die
Sprache noch nicht Bücher-aber Liederspra-
che ist: so hat sie Reichthum an Bildern, und

den

„reiche der Sprache ab.)„ Der Reichthum
kann ſeyn in Namen der Sachen, oder in
Zeichen der Begriffe; der erſte macht ei-
ne Sprache ſinnlich oder Bilderreich; der
zweite abſtrackt oder Gedankenreich; und
den Unterſchied von beiden hat das 7te Frag-
ment zu zeigen geſucht. — Der Wohlklang
hat mit Begriffen keine Verbindung, ſondern
muß aus der Natur der Sprach- und Hoͤr-
werkzeuge erklaͤrt werden: eine Anwendung
auf unſre Sprache hat das 11te und 14te Frag-
ment verſucht.

„Das erſte Stuͤck iſt ſolcher Vollkommen-
„heiten faͤhig, die mit dem Tode der Sprache,
„wenn ſie aufhoͤrt, Landesſprache zu ſeyn, ver-
„loͤſchen.)„ Nicht blos mit dem Tode der
Sprache, ſondern mit jedem Lebensalter ge-
hen gewiſſe Vollkommenheiten verloren, die
durch Vollkommenheiten eines andern Lebens-
alters erſezzt werden. So lange ſich eine
Sprache bildet, als Sprache der Nothwen-
Digkeit,
iſt bei allen Ungemaͤchlichkeiten der
Armuth ihr Vortheil Staͤrke: wenn die
Sprache noch nicht Buͤcher-aber Liederſpra-
che iſt: ſo hat ſie Reichthum an Bildern, und

den
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0168" n="164"/>
&#x201E;reiche der Sprache ab.)&#x201E; Der Reichthum<lb/>
kann &#x017F;eyn in <hi rendition="#fr">Namen</hi> der <hi rendition="#fr">Sachen,</hi> oder in<lb/><hi rendition="#fr">Zeichen</hi> der <hi rendition="#fr">Begriffe;</hi> der er&#x017F;te macht ei-<lb/>
ne Sprache <hi rendition="#fr">&#x017F;innlich</hi> oder Bilderreich; der<lb/>
zweite <hi rendition="#fr">ab&#x017F;trackt</hi> oder <hi rendition="#fr">Gedankenreich;</hi> und<lb/>
den Unter&#x017F;chied von beiden hat das 7te Frag-<lb/>
ment zu zeigen ge&#x017F;ucht. &#x2014; Der <hi rendition="#fr">Wohlklang</hi><lb/>
hat mit Begriffen keine Verbindung, &#x017F;ondern<lb/>
muß aus der Natur der Sprach- und Ho&#x0364;r-<lb/>
werkzeuge erkla&#x0364;rt werden: eine Anwendung<lb/>
auf un&#x017F;re Sprache hat das 11te und 14te Frag-<lb/>
ment ver&#x017F;ucht.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Das er&#x017F;te Stu&#x0364;ck i&#x017F;t &#x017F;olcher Vollkommen-<lb/>
&#x201E;heiten fa&#x0364;hig, die mit dem Tode der Sprache,<lb/>
&#x201E;wenn &#x017F;ie aufho&#x0364;rt, Landes&#x017F;prache zu &#x017F;eyn, ver-<lb/>
&#x201E;lo&#x0364;&#x017F;chen.)&#x201E; Nicht blos mit dem Tode der<lb/>
Sprache, &#x017F;ondern mit jedem Lebensalter ge-<lb/>
hen gewi&#x017F;&#x017F;e Vollkommenheiten verloren, die<lb/>
durch Vollkommenheiten eines andern Lebens-<lb/>
alters er&#x017F;ezzt werden. So lange &#x017F;ich eine<lb/>
Sprache bildet, als Sprache der <hi rendition="#fr">Nothwen-<lb/>
Digkeit,</hi> i&#x017F;t bei allen Ungema&#x0364;chlichkeiten der<lb/>
Armuth ihr Vortheil <hi rendition="#fr">Sta&#x0364;rke:</hi> wenn die<lb/>
Sprache noch nicht Bu&#x0364;cher-aber Lieder&#x017F;pra-<lb/>
che i&#x017F;t: &#x017F;o hat &#x017F;ie Reichthum an Bildern, und<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">den</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[164/0168] „reiche der Sprache ab.)„ Der Reichthum kann ſeyn in Namen der Sachen, oder in Zeichen der Begriffe; der erſte macht ei- ne Sprache ſinnlich oder Bilderreich; der zweite abſtrackt oder Gedankenreich; und den Unterſchied von beiden hat das 7te Frag- ment zu zeigen geſucht. — Der Wohlklang hat mit Begriffen keine Verbindung, ſondern muß aus der Natur der Sprach- und Hoͤr- werkzeuge erklaͤrt werden: eine Anwendung auf unſre Sprache hat das 11te und 14te Frag- ment verſucht. „Das erſte Stuͤck iſt ſolcher Vollkommen- „heiten faͤhig, die mit dem Tode der Sprache, „wenn ſie aufhoͤrt, Landesſprache zu ſeyn, ver- „loͤſchen.)„ Nicht blos mit dem Tode der Sprache, ſondern mit jedem Lebensalter ge- hen gewiſſe Vollkommenheiten verloren, die durch Vollkommenheiten eines andern Lebens- alters erſezzt werden. So lange ſich eine Sprache bildet, als Sprache der Nothwen- Digkeit, iſt bei allen Ungemaͤchlichkeiten der Armuth ihr Vortheil Staͤrke: wenn die Sprache noch nicht Buͤcher-aber Liederſpra- che iſt: ſo hat ſie Reichthum an Bildern, und den

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur01_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur01_1767/168
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 1. Riga, 1767, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur01_1767/168>, abgerufen am 24.11.2024.