Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 3. Riga, 1769.Drittes Wäldchen. dörfen: so lasset nur im Verfolg der Zeiten nach-kommenden Gelehrten und Staatskundigen an ge- nauen Denkmalen der Vorwelt gelegen seyn dörfen: wird ihnen etwa eine reine würdige historische Vor- stellung nicht gelegner kommen, als eine hinter die Allegorie versteckte? als eine allegorisch halb ge- sagte? als eine nur im Nebenbegriffe angedeute- te? -- Jn diesem Falle ist der Unterschied so; wie in den mancherley Erzehlungsarten der Geschichte. Die älteste Geschichte war Gedicht, war epischer Gesang -- schön allerdings, in rührende Bilder gekleidet freylich, so gar mit täuschenden Fiktionen untermischt; aber Geschichte? Trockne Zeugnisse der Wahrheit? Wie verlassen ist der Geschicht- schreiber in diesen Gegenden schöner poetischer Halb- wahrheit, oder schöner halbwahrer Dichtung! Und was diese Mischung einen langen mytholo- gischen Gesang hinunter; das ist sie, wenn eine neue Begebenheit hinter eine halb andeutende Alle- gorie versteckt wird, auf einer Münze, auf einem Denkmale für die Nachwelt. Eben dazu ists schon, daß die Neuern ihren sie E
Drittes Waͤldchen. doͤrfen: ſo laſſet nur im Verfolg der Zeiten nach-kommenden Gelehrten und Staatskundigen an ge- nauen Denkmalen der Vorwelt gelegen ſeyn doͤrfen: wird ihnen etwa eine reine wuͤrdige hiſtoriſche Vor- ſtellung nicht gelegner kommen, als eine hinter die Allegorie verſteckte? als eine allegoriſch halb ge- ſagte? als eine nur im Nebenbegriffe angedeute- te? — Jn dieſem Falle iſt der Unterſchied ſo; wie in den mancherley Erzehlungsarten der Geſchichte. Die aͤlteſte Geſchichte war Gedicht, war epiſcher Geſang — ſchoͤn allerdings, in ruͤhrende Bilder gekleidet freylich, ſo gar mit taͤuſchenden Fiktionen untermiſcht; aber Geſchichte? Trockne Zeugniſſe der Wahrheit? Wie verlaſſen iſt der Geſchicht- ſchreiber in dieſen Gegenden ſchoͤner poetiſcher Halb- wahrheit, oder ſchoͤner halbwahrer Dichtung! Und was dieſe Miſchung einen langen mytholo- giſchen Geſang hinunter; das iſt ſie, wenn eine neue Begebenheit hinter eine halb andeutende Alle- gorie verſteckt wird, auf einer Muͤnze, auf einem Denkmale fuͤr die Nachwelt. Eben dazu iſts ſchon, daß die Neuern ihren ſie E
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Drittes Waͤldchen.
doͤrfen: ſo laſſet nur im Verfolg der Zeiten nach-
kommenden Gelehrten und Staatskundigen an ge-
nauen Denkmalen der Vorwelt gelegen ſeyn doͤrfen:
wird ihnen etwa eine reine wuͤrdige hiſtoriſche Vor-
ſtellung nicht gelegner kommen, als eine hinter die
Allegorie verſteckte? als eine allegoriſch halb ge-
ſagte? als eine nur im Nebenbegriffe angedeute-
te? — Jn dieſem Falle iſt der Unterſchied ſo; wie
in den mancherley Erzehlungsarten der Geſchichte.
Die aͤlteſte Geſchichte war Gedicht, war epiſcher
Geſang — ſchoͤn allerdings, in ruͤhrende Bilder
gekleidet freylich, ſo gar mit taͤuſchenden Fiktionen
untermiſcht; aber Geſchichte? Trockne Zeugniſſe
der Wahrheit? Wie verlaſſen iſt der Geſchicht-
ſchreiber in dieſen Gegenden ſchoͤner poetiſcher Halb-
wahrheit, oder ſchoͤner halbwahrer Dichtung!
Und was dieſe Miſchung einen langen mytholo-
giſchen Geſang hinunter; das iſt ſie, wenn eine
neue Begebenheit hinter eine halb andeutende Alle-
gorie verſteckt wird, auf einer Muͤnze, auf einem
Denkmale fuͤr die Nachwelt.
Eben dazu iſts ſchon, daß die Neuern ihren
Medaillenvorſtellungen eine groͤſſere Flaͤche, als
je die Alten, eingeraͤumt haben. Moͤchten ſie nur
auch die hiſtoriſche Begebenheit ſo kurz, ſo an-
ſchaulich, ſo entladen von entbehrlichen Nebenum-
ſtaͤnden, von Zierrathen aus einer fremden Zeit,
und von verwirrender Dichtung vorſtellen: moͤchten
ſie
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