Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 2. Riga, 1769.Zweites Wäldchen. "Ja aber, alte Sage, historische Tradition!" Aber das ist Schade, daß man auf der andern Man thut also am besten, wenn man diese ent- gabe N 2
Zweites Waͤldchen. „Ja aber, alte Sage, hiſtoriſche Tradition!„ Aber das iſt Schade, daß man auf der andern Man thut alſo am beſten, wenn man dieſe ent- gabe N 2
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Zweites Waͤldchen.
„Ja aber, alte Sage, hiſtoriſche Tradition!„
Was Tradition? Sie hat ſich aus Martial, aus
Apulejus, und wo weiß ich mehr her? entſponnen,
und Martial und Apulejus ſtrafen die Tradition
ſelbſt Luͤgen. Der eine ſchweigt, der eine nennt es
ein „ſcherzhaftes Lobgedicht: ich habe Zeugen,
die aͤlter ſind, als die Tradition.
Aber das iſt Schade, daß man auf der andern
Seite rettend faſt immer zu weit gegangen, und
damit Virgils guter Sache ſelbſt geſchadet. Die
Ekloge ſoll blos poetiſches Exercitium, ſoll ganz oh-
ne die geringſte lebendige Anſpielung, Corydon
und Alexis ſollen ganz romantiſche Weſen ſeyn, und
dies iſt freilich, nach dem, was Martial und Apu-
lejus ſagen, zu viel verneinet. Virgil kann immer
der verkleidete Corydon, Alexis immer der ſchoͤne
Junge des Pollio, die Ekloge immer ein Jndivi-
dualgedicht ſeyn: nur es iſt eine poetiſche Maske-
rade; ein feines Lobgedicht, ein ludicrum, nach
Theokrits Manier.
Man thut alſo am beſten, wenn man dieſe ent-
wickelt, wenn man die dem Griechen nachgeahmten
Stellen anmerket, wenn man zeigt, daß der ganze
Bau des Gedichts keine Halbgeſchichte, und keine
Halbpoeſie zulaſſe, daß der Poet nach ſeinem Plane
einmal ſo habe dichten muͤſſen, daß — doch was
zaͤhle ich das her, das in der letzten, ſchoͤnſten Aus-
gabe
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