Sekte, Menschengattung, und trug sie ein. Nun komme nach drei tausend Jahren ein Mensch aus ei- ner fremden Sprache, aus einer ganz andern Welt, urtheile und richte, und mäckle Wörter, sicherer wür- de er die Bücher der cumäischen Sybille in Ord- nung bringen!
Wer mir nicht glaubt, lese hierüber die Vorre- de des arbeitsamen Johnsons zu seinem englischen Wörterbuche, und er wird vor einer Kritik zittern, die ihn drei tausend Jahre zurück, in einen so frü- hen Zeitpunkt der griechischen Sprache, als in wel- chem der Dichter ihrer Jugend Homer sang, wer- fen will. Wenn schon zur Zeit Aristoteles gebohr- ne Griechen über einzelne Wörter Homers zweifel- haft waren: werden wir alsdenn nicht weit öfter, wenn es insonderheit auf Würde der Wörter an- kommt, in der Sprache des ehrlichen Sancho Pan- sa sagen müssen: Gott weiß, wie Homer hätte dichten sollen. Jch rede nicht von dem Sinne desselben, sondern von dem Gefühle seiner epischen Würde in der Sprache: und zum Behufe des letztern reichen die vielen Hülfsmittel unter den Griechen selbst da zu, Homer beurtheilen zu wollen?
Jch gebe ein Beispiel, das ich brauchen wer- de. Das Wort geloiion hieß in den Zeiten der al- ten griechischen Einfalt, überhaupt, was Freude, was Lachen erwecket, ohne daß dies Lachen der Freu- de noch ein Gelächter des Spottes seyn dorfte. Das
geloi-
Kritiſche Waͤlder.
Sekte, Menſchengattung, und trug ſie ein. Nun komme nach drei tauſend Jahren ein Menſch aus ei- ner fremden Sprache, aus einer ganz andern Welt, urtheile und richte, und maͤckle Woͤrter, ſicherer wuͤr- de er die Buͤcher der cumaͤiſchen Sybille in Ord- nung bringen!
Wer mir nicht glaubt, leſe hieruͤber die Vorre- de des arbeitſamen Johnſons zu ſeinem engliſchen Woͤrterbuche, und er wird vor einer Kritik zittern, die ihn drei tauſend Jahre zuruͤck, in einen ſo fruͤ- hen Zeitpunkt der griechiſchen Sprache, als in wel- chem der Dichter ihrer Jugend Homer ſang, wer- fen will. Wenn ſchon zur Zeit Ariſtoteles gebohr- ne Griechen uͤber einzelne Woͤrter Homers zweifel- haft waren: werden wir alsdenn nicht weit oͤfter, wenn es inſonderheit auf Wuͤrde der Woͤrter an- kommt, in der Sprache des ehrlichen Sancho Pan- ſa ſagen muͤſſen: Gott weiß, wie Homer haͤtte dichten ſollen. Jch rede nicht von dem Sinne deſſelben, ſondern von dem Gefuͤhle ſeiner epiſchen Wuͤrde in der Sprache: und zum Behufe des letztern reichen die vielen Huͤlfsmittel unter den Griechen ſelbſt da zu, Homer beurtheilen zu wollen?
Jch gebe ein Beiſpiel, das ich brauchen wer- de. Das Wort γελοιιον hieß in den Zeiten der al- ten griechiſchen Einfalt, uͤberhaupt, was Freude, was Lachen erwecket, ohne daß dies Lachen der Freu- de noch ein Gelaͤchter des Spottes ſeyn dorfte. Das
γελοι-
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Kritiſche Waͤlder.
Sekte, Menſchengattung, und trug ſie ein. Nun
komme nach drei tauſend Jahren ein Menſch aus ei-
ner fremden Sprache, aus einer ganz andern Welt,
urtheile und richte, und maͤckle Woͤrter, ſicherer wuͤr-
de er die Buͤcher der cumaͤiſchen Sybille in Ord-
nung bringen!
Wer mir nicht glaubt, leſe hieruͤber die Vorre-
de des arbeitſamen Johnſons zu ſeinem engliſchen
Woͤrterbuche, und er wird vor einer Kritik zittern,
die ihn drei tauſend Jahre zuruͤck, in einen ſo fruͤ-
hen Zeitpunkt der griechiſchen Sprache, als in wel-
chem der Dichter ihrer Jugend Homer ſang, wer-
fen will. Wenn ſchon zur Zeit Ariſtoteles gebohr-
ne Griechen uͤber einzelne Woͤrter Homers zweifel-
haft waren: werden wir alsdenn nicht weit oͤfter,
wenn es inſonderheit auf Wuͤrde der Woͤrter an-
kommt, in der Sprache des ehrlichen Sancho Pan-
ſa ſagen muͤſſen: Gott weiß, wie Homer haͤtte dichten
ſollen. Jch rede nicht von dem Sinne deſſelben,
ſondern von dem Gefuͤhle ſeiner epiſchen Wuͤrde in
der Sprache: und zum Behufe des letztern reichen
die vielen Huͤlfsmittel unter den Griechen ſelbſt da
zu, Homer beurtheilen zu wollen?
Jch gebe ein Beiſpiel, das ich brauchen wer-
de. Das Wort γελοιιον hieß in den Zeiten der al-
ten griechiſchen Einfalt, uͤberhaupt, was Freude,
was Lachen erwecket, ohne daß dies Lachen der Freu-
de noch ein Gelaͤchter des Spottes ſeyn dorfte. Das
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Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 2. Riga, 1769, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische02_1769/18>, abgerufen am 16.02.2025.
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