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[Herder, Johann Gottfried von]: Kritische Wälder. Bd. 1. [Riga], 1769.

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Erstes Wäldchen.
duld von bewährtem Golde bedeuten: nicht dem my-
thologischen Bacchus.

So mögen es wohl keine Bacchus seyn, die
mit hervorsprießenden Hörnern dastehen, sondern
lieber Faunen a): denn "in der That sind solche
"natürliche Hörner eine Schändung der menschli-
"chen Gestalt, und können nur Wesen geziemen,
"denen man eine Art von Mittelgestalt zwischen
"Menschen und Thier ertheilt." Mit solchen ge-
ziemenden Schlüssen! als wenn Bacchus nicht oft
gnug diesen und noch ungeziemendere Namen bekä-
me: als wenn er nicht oft gnug keraos, dike-
raos, khrusokeraos, tauropos, taurometopos,
taurokeraos, kerasphoros, gehörnt, zweigehörnt,
goldgehörnt, stiergehörnt hieße. Kurz! die Hör-
ner waren in gewissen Deutungen ihm wesentlich,
und gehörten mit zu seiner heiligen Allegorie, in der
ihn die Griechen mit von andern Völkern, die die
Allegorie noch über die Schönheit der menschlichen
Gestalt liebten, bekommen hatten.

Ob aber Bacchus in allen b) seinen Tempeln
nicht anders, als gehörnt, erschienen, ist wieder auf
der andern Seite zu weit, und hat für Hrn. L. kei-
nen Vortheil, als nachher c) seine Errathungskunst
zu üben, wo denn alle diese gehörnte Statuen Ba-
chus geblieben seyn mögen, da wir jetzt keine haben?
Mir dünkts gnug, daß der bei den Dichtern viel-

gestal-
a) p. 104.
b) Laok. p. 103.
c) p. 104.

Erſtes Waͤldchen.
duld von bewaͤhrtem Golde bedeuten: nicht dem my-
thologiſchen Bacchus.

So moͤgen es wohl keine Bacchus ſeyn, die
mit hervorſprießenden Hoͤrnern daſtehen, ſondern
lieber Faunen a): denn „in der That ſind ſolche
„natuͤrliche Hoͤrner eine Schaͤndung der menſchli-
„chen Geſtalt, und koͤnnen nur Weſen geziemen,
„denen man eine Art von Mittelgeſtalt zwiſchen
„Menſchen und Thier ertheilt.„ Mit ſolchen ge-
ziemenden Schluͤſſen! als wenn Bacchus nicht oft
gnug dieſen und noch ungeziemendere Namen bekaͤ-
me: als wenn er nicht oft gnug κεραος, δικε-
ραος, χρυσοκεραος, ταυρωπος, ταυρομετωπος,
ταυροκεραος, κερασφορος, gehoͤrnt, zweigehoͤrnt,
goldgehoͤrnt, ſtiergehoͤrnt hieße. Kurz! die Hoͤr-
ner waren in gewiſſen Deutungen ihm weſentlich,
und gehoͤrten mit zu ſeiner heiligen Allegorie, in der
ihn die Griechen mit von andern Voͤlkern, die die
Allegorie noch uͤber die Schoͤnheit der menſchlichen
Geſtalt liebten, bekommen hatten.

Ob aber Bacchus in allen b) ſeinen Tempeln
nicht anders, als gehoͤrnt, erſchienen, iſt wieder auf
der andern Seite zu weit, und hat fuͤr Hrn. L. kei-
nen Vortheil, als nachher c) ſeine Errathungskunſt
zu uͤben, wo denn alle dieſe gehoͤrnte Statuen Ba-
chus geblieben ſeyn moͤgen, da wir jetzt keine haben?
Mir duͤnkts gnug, daß der bei den Dichtern viel-

geſtal-
a) p. 104.
b) Laok. p. 103.
c) p. 104.
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[93/0099] Erſtes Waͤldchen. duld von bewaͤhrtem Golde bedeuten: nicht dem my- thologiſchen Bacchus. So moͤgen es wohl keine Bacchus ſeyn, die mit hervorſprießenden Hoͤrnern daſtehen, ſondern lieber Faunen a): denn „in der That ſind ſolche „natuͤrliche Hoͤrner eine Schaͤndung der menſchli- „chen Geſtalt, und koͤnnen nur Weſen geziemen, „denen man eine Art von Mittelgeſtalt zwiſchen „Menſchen und Thier ertheilt.„ Mit ſolchen ge- ziemenden Schluͤſſen! als wenn Bacchus nicht oft gnug dieſen und noch ungeziemendere Namen bekaͤ- me: als wenn er nicht oft gnug κεραος, δικε- ραος, χρυσοκεραος, ταυρωπος, ταυρομετωπος, ταυροκεραος, κερασφορος, gehoͤrnt, zweigehoͤrnt, goldgehoͤrnt, ſtiergehoͤrnt hieße. Kurz! die Hoͤr- ner waren in gewiſſen Deutungen ihm weſentlich, und gehoͤrten mit zu ſeiner heiligen Allegorie, in der ihn die Griechen mit von andern Voͤlkern, die die Allegorie noch uͤber die Schoͤnheit der menſchlichen Geſtalt liebten, bekommen hatten. Ob aber Bacchus in allen b) ſeinen Tempeln nicht anders, als gehoͤrnt, erſchienen, iſt wieder auf der andern Seite zu weit, und hat fuͤr Hrn. L. kei- nen Vortheil, als nachher c) ſeine Errathungskunſt zu uͤben, wo denn alle dieſe gehoͤrnte Statuen Ba- chus geblieben ſeyn moͤgen, da wir jetzt keine haben? Mir duͤnkts gnug, daß der bei den Dichtern viel- geſtal- a) p. 104. b) Laok. p. 103. c) p. 104.

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Zitationshilfe: [Herder, Johann Gottfried von]: Kritische Wälder. Bd. 1. [Riga], 1769, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische01_1769/99>, abgerufen am 10.05.2024.