Um endlich vem herrschenden Geschmacke zu urtheilen, nehme man freilich nicht alle Zeiten gleich, sondern die, da der Geschmack schon ausgebildet, da er durch keine Kakozelie verdorben erscheint: im er- sten Fall ist noch kein Gesetz gegeben, im zweiten ists eine Zeitlang unter die Bank gebracht; deßwegen aber noch immer Landesgesetz. -- Und nach die- sen Bestimmungen kann L. allerdings fest setzen: "daß bei den Alten die Schönheit das höchste Ge- "setz der bildenden Künste gewesen."
Allein bei welchen Alten? seit wenn? wie lan- re? welche Unter-welche Nebengesetze? Und wo- her ists bei den Griechen so vorzüglich, vor allen Nationen, höchstes Gesetz geworden? Andre wich- tige Fragen, wo bei der letzten mir W. selbst kaum ein Gnüge thut.
Hr. L. kommt auf zwo Situationen, die hier- in einschlagen: "daß bei den Alten auch die Kün- "ste bürgerlichen Gesetzen unterworfen gewesen, "und was die bildenden Künste auf den Charakter "einer Nation wirken können a)." Allein, über bei- des konnte er sich nur im Vorbeigehen erklären. Es muß aus Gründen hergeleitet werden können: wie bei den Griechen Gesetze über die Kunst nicht blos, wie weit es Hr. L. nimmt, erlaubt; sondern nö- thig gewesen -- wie bei ihnen Kunst und Poesie und Musik weit mehr zum Wesentlichen des Staats
gehö-
a) Laok. pag. 12. -- 15.
Erſtes Waͤldchen.
Um endlich vem herrſchenden Geſchmacke zu urtheilen, nehme man freilich nicht alle Zeiten gleich, ſondern die, da der Geſchmack ſchon ausgebildet, da er durch keine Kakozelie verdorben erſcheint: im er- ſten Fall iſt noch kein Geſetz gegeben, im zweiten iſts eine Zeitlang unter die Bank gebracht; deßwegen aber noch immer Landesgeſetz. — Und nach die- ſen Beſtimmungen kann L. allerdings feſt ſetzen: „daß bei den Alten die Schoͤnheit das hoͤchſte Ge- „ſetz der bildenden Kuͤnſte geweſen.„
Allein bei welchen Alten? ſeit wenn? wie lan- re? welche Unter-welche Nebengeſetze? Und wo- her iſts bei den Griechen ſo vorzuͤglich, vor allen Nationen, hoͤchſtes Geſetz geworden? Andre wich- tige Fragen, wo bei der letzten mir W. ſelbſt kaum ein Gnuͤge thut.
Hr. L. kommt auf zwo Situationen, die hier- in einſchlagen: „daß bei den Alten auch die Kuͤn- „ſte buͤrgerlichen Geſetzen unterworfen geweſen, „und was die bildenden Kuͤnſte auf den Charakter „einer Nation wirken koͤnnen a).„ Allein, uͤber bei- des konnte er ſich nur im Vorbeigehen erklaͤren. Es muß aus Gruͤnden hergeleitet werden koͤnnen: wie bei den Griechen Geſetze uͤber die Kunſt nicht blos, wie weit es Hr. L. nimmt, erlaubt; ſondern noͤ- thig geweſen — wie bei ihnen Kunſt und Poeſie und Muſik weit mehr zum Weſentlichen des Staats
gehoͤ-
a) Laok. pag. 12. — 15.
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Erſtes Waͤldchen.
Um endlich vem herrſchenden Geſchmacke zu
urtheilen, nehme man freilich nicht alle Zeiten gleich,
ſondern die, da der Geſchmack ſchon ausgebildet, da
er durch keine Kakozelie verdorben erſcheint: im er-
ſten Fall iſt noch kein Geſetz gegeben, im zweiten
iſts eine Zeitlang unter die Bank gebracht; deßwegen
aber noch immer Landesgeſetz. — Und nach die-
ſen Beſtimmungen kann L. allerdings feſt ſetzen:
„daß bei den Alten die Schoͤnheit das hoͤchſte Ge-
„ſetz der bildenden Kuͤnſte geweſen.„
Allein bei welchen Alten? ſeit wenn? wie lan-
re? welche Unter-welche Nebengeſetze? Und wo-
her iſts bei den Griechen ſo vorzuͤglich, vor allen
Nationen, hoͤchſtes Geſetz geworden? Andre wich-
tige Fragen, wo bei der letzten mir W. ſelbſt kaum
ein Gnuͤge thut.
Hr. L. kommt auf zwo Situationen, die hier-
in einſchlagen: „daß bei den Alten auch die Kuͤn-
„ſte buͤrgerlichen Geſetzen unterworfen geweſen,
„und was die bildenden Kuͤnſte auf den Charakter
„einer Nation wirken koͤnnen a).„ Allein, uͤber bei-
des konnte er ſich nur im Vorbeigehen erklaͤren. Es
muß aus Gruͤnden hergeleitet werden koͤnnen: wie
bei den Griechen Geſetze uͤber die Kunſt nicht blos,
wie weit es Hr. L. nimmt, erlaubt; ſondern noͤ-
thig geweſen — wie bei ihnen Kunſt und Poeſie
und Muſik weit mehr zum Weſentlichen des Staats
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a) Laok. pag. 12. — 15.
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[Herder, Johann Gottfried von]: Kritische Wälder. Bd. 1. [Riga], 1769, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische01_1769/83>, abgerufen am 16.07.2024.
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