gen, daß die Alten auch Furien, Medusen u. s. w. gebildet hätten -- etwas, was wohl jeder weiß, der etwa ein Museum durchlaufen.
Oder hätten die Alten das Gesetz gehabt, häß- liche Figuren auch schön zu bilden, weil was gebil- det werde, schön seyn müsse? Jch weiß, daß man ihn auch so verstanden, und alsdenn die liebe Me- duse statt Alles angeführt; allein auch dieß ist nicht die Verbindung des Sinnes.
Jch verstehe ihn so: es sei bei den Griechen kein herrschender, kein Hauptgeschmack gewesen, das erste beste zu schildern und zu bilden, um blos durch die Nachahmung Werth zu erhalten, blos durch Aehn- lichkeit sich als Künstler zu zeigen: sondern hier habe ihr Geschmack das Schöne zum Hauptgegen- stande gemacht, um nicht blos mit leidigen Ge- schicklichkeiten zu pralen. Und in diesem Verstande bleiben folgende Bestimmungen ja von selbst ein- geschlossen.
Um von einem herrschenden Geschmacke zu ur- theilen, nehme man nicht jede einzelne Beispiele: denn die Pausons, Pyreicus und andre Rhyparo- graphen, so lange sie nicht Schulen ziehen, und diese mit andern, mit den Schilderern der Schönheit noch nicht um den Vorzug streiten dörfen, hindern nichts.
Um von einem herrschenden Geschmacke zu urtheilen, muß man die Worte eines Gesetzge-
bers,
Erſtes Waͤldchen.
gen, daß die Alten auch Furien, Meduſen u. ſ. w. gebildet haͤtten — etwas, was wohl jeder weiß, der etwa ein Muſeum durchlaufen.
Oder haͤtten die Alten das Geſetz gehabt, haͤß- liche Figuren auch ſchoͤn zu bilden, weil was gebil- det werde, ſchoͤn ſeyn muͤſſe? Jch weiß, daß man ihn auch ſo verſtanden, und alsdenn die liebe Me- duſe ſtatt Alles angefuͤhrt; allein auch dieß iſt nicht die Verbindung des Sinnes.
Jch verſtehe ihn ſo: es ſei bei den Griechen kein herrſchender, kein Hauptgeſchmack geweſen, das erſte beſte zu ſchildern und zu bilden, um blos durch die Nachahmung Werth zu erhalten, blos durch Aehn- lichkeit ſich als Kuͤnſtler zu zeigen: ſondern hier habe ihr Geſchmack das Schoͤne zum Hauptgegen- ſtande gemacht, um nicht blos mit leidigen Ge- ſchicklichkeiten zu pralen. Und in dieſem Verſtande bleiben folgende Beſtimmungen ja von ſelbſt ein- geſchloſſen.
Um von einem herrſchenden Geſchmacke zu ur- theilen, nehme man nicht jede einzelne Beiſpiele: denn die Pauſons, Pyreicus und andre Rhyparo- graphen, ſo lange ſie nicht Schulen ziehen, und dieſe mit andern, mit den Schilderern der Schoͤnheit noch nicht um den Vorzug ſtreiten doͤrfen, hindern nichts.
Um von einem herrſchenden Geſchmacke zu urtheilen, muß man die Worte eines Geſetzge-
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Erſtes Waͤldchen.
gen, daß die Alten auch Furien, Meduſen u. ſ. w.
gebildet haͤtten — etwas, was wohl jeder weiß, der
etwa ein Muſeum durchlaufen.
Oder haͤtten die Alten das Geſetz gehabt, haͤß-
liche Figuren auch ſchoͤn zu bilden, weil was gebil-
det werde, ſchoͤn ſeyn muͤſſe? Jch weiß, daß man
ihn auch ſo verſtanden, und alsdenn die liebe Me-
duſe ſtatt Alles angefuͤhrt; allein auch dieß iſt nicht
die Verbindung des Sinnes.
Jch verſtehe ihn ſo: es ſei bei den Griechen kein
herrſchender, kein Hauptgeſchmack geweſen, das erſte
beſte zu ſchildern und zu bilden, um blos durch die
Nachahmung Werth zu erhalten, blos durch Aehn-
lichkeit ſich als Kuͤnſtler zu zeigen: ſondern hier
habe ihr Geſchmack das Schoͤne zum Hauptgegen-
ſtande gemacht, um nicht blos mit leidigen Ge-
ſchicklichkeiten zu pralen. Und in dieſem Verſtande
bleiben folgende Beſtimmungen ja von ſelbſt ein-
geſchloſſen.
Um von einem herrſchenden Geſchmacke zu ur-
theilen, nehme man nicht jede einzelne Beiſpiele:
denn die Pauſons, Pyreicus und andre Rhyparo-
graphen, ſo lange ſie nicht Schulen ziehen, und dieſe
mit andern, mit den Schilderern der Schoͤnheit
noch nicht um den Vorzug ſtreiten doͤrfen, hindern
nichts.
Um von einem herrſchenden Geſchmacke zu
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[Herder, Johann Gottfried von]: Kritische Wälder. Bd. 1. [Riga], 1769, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische01_1769/81>, abgerufen am 16.07.2024.
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