Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Herder, Johann Gottfried von]: Kritische Wälder. Bd. 1. [Riga], 1769.

Bild:
<< vorherige Seite

Erstes Wäldchen.
den Geschmack: er kommt dem Geruche zu, blos als
einem mit dem Geschmacke verbundnen Sinne: jeder
andere unangenehme z. E. zu starke, zu betäubende
Geruch heißt nicht ekelhaft.

Dem Gefühle kommt Ekel schon sehr uneigent-
lich zu. "Eine zu große Weichheit der Körper,
"die den berührenden Fibern nicht gnug widerste-
"hen " a), z. E. ein Antasten des Sammets, fei-
ner Haare, etc. kann im eigentlichen Verstande eben
so wenig ekelhaft heißen, als das sogenannte Ki-
tzeln: es ist Widrigkeit, ein heterogenes Gefühl,
eine heterogene Berührung, als ich mag: und
zwar Widrigkeit durch das zu Sanfte. Nun
giebts eine andere Widrigkeit, das Gefühl einer he-
terogenen Nervenspannung, durch das zu Heftige,
zu Gewaltsame.
So kreischt uns ein Griffel ins
Ohr, der einen Stein hinunter krallet: wir fühlen
unser ganzes Nervengebäude widrig erschüttert:
wir wollen aus der Haut fahren; aber erbrechen
wollen wir uns nicht. Widrig ist der Gegenstand
für unser fühlendes Ohr; nicht aber ekelhaft.

Dem Gehöre, als solchem, kommt Ekel noch
minder zu: denn "eine unmittelbare Folge von
"vollkommenen Consonanzen b)" kann Ueberdruß;

aber
a) Litt. Br. eb. das.
b) Litt. Br.

Erſtes Waͤldchen.
den Geſchmack: er kommt dem Geruche zu, blos als
einem mit dem Geſchmacke verbundnen Sinne: jeder
andere unangenehme z. E. zu ſtarke, zu betaͤubende
Geruch heißt nicht ekelhaft.

Dem Gefuͤhle kommt Ekel ſchon ſehr uneigent-
lich zu. „Eine zu große Weichheit der Koͤrper,
„die den beruͤhrenden Fibern nicht gnug widerſte-
„hen „ a), z. E. ein Antaſten des Sammets, fei-
ner Haare, ꝛc. kann im eigentlichen Verſtande eben
ſo wenig ekelhaft heißen, als das ſogenannte Ki-
tzeln: es iſt Widrigkeit, ein heterogenes Gefuͤhl,
eine heterogene Beruͤhrung, als ich mag: und
zwar Widrigkeit durch das zu Sanfte. Nun
giebts eine andere Widrigkeit, das Gefuͤhl einer he-
terogenen Nervenſpannung, durch das zu Heftige,
zu Gewaltſame.
So kreiſcht uns ein Griffel ins
Ohr, der einen Stein hinunter krallet: wir fuͤhlen
unſer ganzes Nervengebaͤude widrig erſchuͤttert:
wir wollen aus der Haut fahren; aber erbrechen
wollen wir uns nicht. Widrig iſt der Gegenſtand
fuͤr unſer fuͤhlendes Ohr; nicht aber ekelhaft.

Dem Gehoͤre, als ſolchem, kommt Ekel noch
minder zu: denn „eine unmittelbare Folge von
„vollkommenen Conſonanzen b)„ kann Ueberdruß;

aber
a) Litt. Br. eb. daſ.
b) Litt. Br.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0273" n="267"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Er&#x017F;tes Wa&#x0364;ldchen.</hi></fw><lb/>
den Ge&#x017F;chmack: er kommt dem Geruche zu, blos als<lb/>
einem mit dem Ge&#x017F;chmacke verbundnen Sinne: jeder<lb/>
andere unangenehme z. E. zu &#x017F;tarke, zu beta&#x0364;ubende<lb/>
Geruch heißt nicht ekelhaft.</p><lb/>
          <p>Dem Gefu&#x0364;hle kommt Ekel &#x017F;chon &#x017F;ehr uneigent-<lb/>
lich zu. &#x201E;Eine zu große Weichheit der Ko&#x0364;rper,<lb/>
&#x201E;die den beru&#x0364;hrenden Fibern nicht gnug wider&#x017F;te-<lb/>
&#x201E;hen &#x201E; <note place="foot" n="a)">Litt. Br. eb. da&#x017F;.</note>, z. E. ein Anta&#x017F;ten des Sammets, fei-<lb/>
ner Haare, &#xA75B;c. kann im eigentlichen Ver&#x017F;tande eben<lb/>
&#x017F;o wenig ekelhaft heißen, als das &#x017F;ogenannte Ki-<lb/>
tzeln: es i&#x017F;t <hi rendition="#fr">Widrigkeit,</hi> ein heterogenes Gefu&#x0364;hl,<lb/>
eine heterogene Beru&#x0364;hrung, als ich mag: und<lb/>
zwar <hi rendition="#fr">Widrigkeit</hi> durch das <hi rendition="#fr">zu Sanfte.</hi> Nun<lb/>
giebts eine andere Widrigkeit, das Gefu&#x0364;hl einer he-<lb/>
terogenen Nerven&#x017F;pannung, durch das <hi rendition="#fr">zu Heftige,<lb/>
zu Gewalt&#x017F;ame.</hi> So krei&#x017F;cht uns ein Griffel ins<lb/>
Ohr, der einen Stein hinunter krallet: wir fu&#x0364;hlen<lb/>
un&#x017F;er ganzes Nervengeba&#x0364;ude widrig er&#x017F;chu&#x0364;ttert:<lb/>
wir wollen aus der Haut fahren; aber erbrechen<lb/>
wollen wir uns nicht. Widrig i&#x017F;t der Gegen&#x017F;tand<lb/>
fu&#x0364;r un&#x017F;er fu&#x0364;hlendes Ohr; nicht aber ekelhaft.</p><lb/>
          <p>Dem Geho&#x0364;re, als &#x017F;olchem, kommt Ekel noch<lb/>
minder zu: denn &#x201E;eine unmittelbare Folge von<lb/>
&#x201E;vollkommenen Con&#x017F;onanzen <note place="foot" n="b)">Litt. Br.</note>&#x201E; kann <hi rendition="#fr">Ueberdruß;</hi><lb/>
<fw place="bottom" type="catch">aber</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[267/0273] Erſtes Waͤldchen. den Geſchmack: er kommt dem Geruche zu, blos als einem mit dem Geſchmacke verbundnen Sinne: jeder andere unangenehme z. E. zu ſtarke, zu betaͤubende Geruch heißt nicht ekelhaft. Dem Gefuͤhle kommt Ekel ſchon ſehr uneigent- lich zu. „Eine zu große Weichheit der Koͤrper, „die den beruͤhrenden Fibern nicht gnug widerſte- „hen „ a), z. E. ein Antaſten des Sammets, fei- ner Haare, ꝛc. kann im eigentlichen Verſtande eben ſo wenig ekelhaft heißen, als das ſogenannte Ki- tzeln: es iſt Widrigkeit, ein heterogenes Gefuͤhl, eine heterogene Beruͤhrung, als ich mag: und zwar Widrigkeit durch das zu Sanfte. Nun giebts eine andere Widrigkeit, das Gefuͤhl einer he- terogenen Nervenſpannung, durch das zu Heftige, zu Gewaltſame. So kreiſcht uns ein Griffel ins Ohr, der einen Stein hinunter krallet: wir fuͤhlen unſer ganzes Nervengebaͤude widrig erſchuͤttert: wir wollen aus der Haut fahren; aber erbrechen wollen wir uns nicht. Widrig iſt der Gegenſtand fuͤr unſer fuͤhlendes Ohr; nicht aber ekelhaft. Dem Gehoͤre, als ſolchem, kommt Ekel noch minder zu: denn „eine unmittelbare Folge von „vollkommenen Conſonanzen b)„ kann Ueberdruß; aber a) Litt. Br. eb. daſ. b) Litt. Br.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische01_1769
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische01_1769/273
Zitationshilfe: [Herder, Johann Gottfried von]: Kritische Wälder. Bd. 1. [Riga], 1769, S. 267. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische01_1769/273>, abgerufen am 10.05.2024.