den Geschmack: er kommt dem Geruche zu, blos als einem mit dem Geschmacke verbundnen Sinne: jeder andere unangenehme z. E. zu starke, zu betäubende Geruch heißt nicht ekelhaft.
Dem Gefühle kommt Ekel schon sehr uneigent- lich zu. "Eine zu große Weichheit der Körper, "die den berührenden Fibern nicht gnug widerste- "hen " a), z. E. ein Antasten des Sammets, fei- ner Haare, etc. kann im eigentlichen Verstande eben so wenig ekelhaft heißen, als das sogenannte Ki- tzeln: es ist Widrigkeit, ein heterogenes Gefühl, eine heterogene Berührung, als ich mag: und zwar Widrigkeit durch das zu Sanfte. Nun giebts eine andere Widrigkeit, das Gefühl einer he- terogenen Nervenspannung, durch das zu Heftige, zu Gewaltsame. So kreischt uns ein Griffel ins Ohr, der einen Stein hinunter krallet: wir fühlen unser ganzes Nervengebäude widrig erschüttert: wir wollen aus der Haut fahren; aber erbrechen wollen wir uns nicht. Widrig ist der Gegenstand für unser fühlendes Ohr; nicht aber ekelhaft.
Dem Gehöre, als solchem, kommt Ekel noch minder zu: denn "eine unmittelbare Folge von "vollkommenen Consonanzen b)" kann Ueberdruß;
aber
a) Litt. Br. eb. das.
b) Litt. Br.
Erſtes Waͤldchen.
den Geſchmack: er kommt dem Geruche zu, blos als einem mit dem Geſchmacke verbundnen Sinne: jeder andere unangenehme z. E. zu ſtarke, zu betaͤubende Geruch heißt nicht ekelhaft.
Dem Gefuͤhle kommt Ekel ſchon ſehr uneigent- lich zu. „Eine zu große Weichheit der Koͤrper, „die den beruͤhrenden Fibern nicht gnug widerſte- „hen „ a), z. E. ein Antaſten des Sammets, fei- ner Haare, ꝛc. kann im eigentlichen Verſtande eben ſo wenig ekelhaft heißen, als das ſogenannte Ki- tzeln: es iſt Widrigkeit, ein heterogenes Gefuͤhl, eine heterogene Beruͤhrung, als ich mag: und zwar Widrigkeit durch das zu Sanfte. Nun giebts eine andere Widrigkeit, das Gefuͤhl einer he- terogenen Nervenſpannung, durch das zu Heftige, zu Gewaltſame. So kreiſcht uns ein Griffel ins Ohr, der einen Stein hinunter krallet: wir fuͤhlen unſer ganzes Nervengebaͤude widrig erſchuͤttert: wir wollen aus der Haut fahren; aber erbrechen wollen wir uns nicht. Widrig iſt der Gegenſtand fuͤr unſer fuͤhlendes Ohr; nicht aber ekelhaft.
Dem Gehoͤre, als ſolchem, kommt Ekel noch minder zu: denn „eine unmittelbare Folge von „vollkommenen Conſonanzen b)„ kann Ueberdruß;
aber
a) Litt. Br. eb. daſ.
b) Litt. Br.
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Erſtes Waͤldchen.
den Geſchmack: er kommt dem Geruche zu, blos als
einem mit dem Geſchmacke verbundnen Sinne: jeder
andere unangenehme z. E. zu ſtarke, zu betaͤubende
Geruch heißt nicht ekelhaft.
Dem Gefuͤhle kommt Ekel ſchon ſehr uneigent-
lich zu. „Eine zu große Weichheit der Koͤrper,
„die den beruͤhrenden Fibern nicht gnug widerſte-
„hen „ a), z. E. ein Antaſten des Sammets, fei-
ner Haare, ꝛc. kann im eigentlichen Verſtande eben
ſo wenig ekelhaft heißen, als das ſogenannte Ki-
tzeln: es iſt Widrigkeit, ein heterogenes Gefuͤhl,
eine heterogene Beruͤhrung, als ich mag: und
zwar Widrigkeit durch das zu Sanfte. Nun
giebts eine andere Widrigkeit, das Gefuͤhl einer he-
terogenen Nervenſpannung, durch das zu Heftige,
zu Gewaltſame. So kreiſcht uns ein Griffel ins
Ohr, der einen Stein hinunter krallet: wir fuͤhlen
unſer ganzes Nervengebaͤude widrig erſchuͤttert:
wir wollen aus der Haut fahren; aber erbrechen
wollen wir uns nicht. Widrig iſt der Gegenſtand
fuͤr unſer fuͤhlendes Ohr; nicht aber ekelhaft.
Dem Gehoͤre, als ſolchem, kommt Ekel noch
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[Herder, Johann Gottfried von]: Kritische Wälder. Bd. 1. [Riga], 1769, S. 267. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische01_1769/273>, abgerufen am 17.02.2025.
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