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[Herder, Johann Gottfried von]: Kritische Wälder. Bd. 1. [Riga], 1769.

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Erstes Wäldchen.
"der Stempel drauf: folglich schildert auch die
"Poesie
nur Körper andeutungsweise durch Hand-
"lungen; folglich kann auch die Poesie in ihren
"fortschreitenden Nachahmungen nur eine einige
"Eigenschast der Körper nutzen, und was daraus
"mehr folgen soll" an Regeln von der Einheit der
malerischen Beiwörter, von der Sparsamkeit in
den Schilderungen körperlicher Gegenstände -- --
u. s. w. Daß diese Grundsätze nicht aus einer Haupt-
eigenschaft der Poesie fließen, z. E. aus dem Suc-
cessiven ihrer Töne, woraus sie Hr. L. hergeleitet,
ist bewiesen. Daß sie auch, und wenn sie alle in
Homers Praxis so Statt fänden, wie Hr. L. glaubt,
doch auch nicht aus dem Successiven der Poesie
überhaupt, sondern aus seinem nähern epischen
Zwecke fließen, ist auch gezeigt. Warum soll nun
dieser epische Ton Homers der ganzen Dichtkunst,
Ton, und Grundsatz und Gesetz so gar ohne Ein-
schließung geben, als er sich bei Hrn. L. meldet?

Jch zittre vor dem Blutbade, den die Sätze:
"Handlungen sind die eigentlichen Gegenstände der

Poe-
schildert, als mitwirken sollen. Auf einen schränket sich
Homer selten ein; wenn es auch nur ein Stein, Geräth,
Bogen, u. s. w. wäre -- er nimmt sich immer Zeit,
so viel Eigenschaften seines Körpers anzuführen, als hier
episch energisiren sollen. Schildert er eine Sache nur
mit einem Zuge: so ist dieser meistens allgemein, und
für diesen Ort unbedeutend: es sind die gewöhnlichen Bei-
namen, die er zu jeder Sache hat, die ihm oft wie-
derkommt.
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Erſtes Waͤldchen.
„der Stempel drauf: folglich ſchildert auch die
„Poeſie
nur Koͤrper andeutungsweiſe durch Hand-
„lungen; folglich kann auch die Poeſie in ihren
„fortſchreitenden Nachahmungen nur eine einige
„Eigenſchaſt der Koͤrper nutzen, und was daraus
„mehr folgen ſoll„ an Regeln von der Einheit der
maleriſchen Beiwoͤrter, von der Sparſamkeit in
den Schilderungen koͤrperlicher Gegenſtaͤnde — —
u. ſ. w. Daß dieſe Grundſaͤtze nicht aus einer Haupt-
eigenſchaft der Poeſie fließen, z. E. aus dem Suc-
ceſſiven ihrer Toͤne, woraus ſie Hr. L. hergeleitet,
iſt bewieſen. Daß ſie auch, und wenn ſie alle in
Homers Praxis ſo Statt faͤnden, wie Hr. L. glaubt,
doch auch nicht aus dem Succeſſiven der Poeſie
uͤberhaupt, ſondern aus ſeinem naͤhern epiſchen
Zwecke fließen, iſt auch gezeigt. Warum ſoll nun
dieſer epiſche Ton Homers der ganzen Dichtkunſt,
Ton, und Grundſatz und Geſetz ſo gar ohne Ein-
ſchließung geben, als er ſich bei Hrn. L. meldet?

Jch zittre vor dem Blutbade, den die Saͤtze:
„Handlungen ſind die eigentlichen Gegenſtaͤnde der

Poe-
ſchildert, als mitwirken ſollen. Auf einen ſchraͤnket ſich
Homer ſelten ein; wenn es auch nur ein Stein, Geraͤth,
Bogen, u. ſ. w. waͤre — er nimmt ſich immer Zeit,
ſo viel Eigenſchaften ſeines Koͤrpers anzufuͤhren, als hier
epiſch energiſiren ſollen. Schildert er eine Sache nur
mit einem Zuge: ſo iſt dieſer meiſtens allgemein, und
fuͤr dieſen Ort unbedeutend: es ſind die gewoͤhnlichen Bei-
namen, die er zu jeder Sache hat, die ihm oft wie-
derkommt.
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[227/0233] Erſtes Waͤldchen. „der Stempel drauf: folglich ſchildert auch die „Poeſie nur Koͤrper andeutungsweiſe durch Hand- „lungen; folglich kann auch die Poeſie in ihren „fortſchreitenden Nachahmungen nur eine einige „Eigenſchaſt der Koͤrper nutzen, und was daraus „mehr folgen ſoll„ an Regeln von der Einheit der maleriſchen Beiwoͤrter, von der Sparſamkeit in den Schilderungen koͤrperlicher Gegenſtaͤnde — — u. ſ. w. Daß dieſe Grundſaͤtze nicht aus einer Haupt- eigenſchaft der Poeſie fließen, z. E. aus dem Suc- ceſſiven ihrer Toͤne, woraus ſie Hr. L. hergeleitet, iſt bewieſen. Daß ſie auch, und wenn ſie alle in Homers Praxis ſo Statt faͤnden, wie Hr. L. glaubt, doch auch nicht aus dem Succeſſiven der Poeſie uͤberhaupt, ſondern aus ſeinem naͤhern epiſchen Zwecke fließen, iſt auch gezeigt. Warum ſoll nun dieſer epiſche Ton Homers der ganzen Dichtkunſt, Ton, und Grundſatz und Geſetz ſo gar ohne Ein- ſchließung geben, als er ſich bei Hrn. L. meldet? Jch zittre vor dem Blutbade, den die Saͤtze: „Handlungen ſind die eigentlichen Gegenſtaͤnde der Poe- ſchildert, als mitwirken ſollen. Auf einen ſchraͤnket ſich Homer ſelten ein; wenn es auch nur ein Stein, Geraͤth, Bogen, u. ſ. w. waͤre — er nimmt ſich immer Zeit, ſo viel Eigenſchaften ſeines Koͤrpers anzufuͤhren, als hier epiſch energiſiren ſollen. Schildert er eine Sache nur mit einem Zuge: ſo iſt dieſer meiſtens allgemein, und fuͤr dieſen Ort unbedeutend: es ſind die gewoͤhnlichen Bei- namen, die er zu jeder Sache hat, die ihm oft wie- derkommt. P 2

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Zitationshilfe: [Herder, Johann Gottfried von]: Kritische Wälder. Bd. 1. [Riga], 1769, S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische01_1769/233>, abgerufen am 23.11.2024.