[Herder, Johann Gottfried von]: Kritische Wälder. Bd. 1. [Riga], 1769.Erstes Wäldchen. Haupte des göttlichen Künstlers kann der Schildmit allen seinen Figuren ein malerisches Ganzes ge- bildet haben; ich muß aufs neue das Schild herum, wenn ich die mit jedem successiven Wortzuge verlohr- ne Figur wieder sehen soll, und doch wo sind sie, wenn ich sie zu einem ganzen Schilde ordnen soll? Das Werdensehen hat hiezu nichts gethan, und kann hiezu nichts thun, es sei denn, um mich noch weiter zu zerstreuen; das Nacheinander werden ist und bleibt der Knoten. Homers Sprache sei so vortrefflich, als sie seyn Seine a) Laok. p. 180. 181. O 5
Erſtes Waͤldchen. Haupte des goͤttlichen Kuͤnſtlers kann der Schildmit allen ſeinen Figuren ein maleriſches Ganzes ge- bildet haben; ich muß aufs neue das Schild herum, wenn ich die mit jedem ſucceſſiven Wortzuge verlohr- ne Figur wieder ſehen ſoll, und doch wo ſind ſie, wenn ich ſie zu einem ganzen Schilde ordnen ſoll? Das Werdenſehen hat hiezu nichts gethan, und kann hiezu nichts thun, es ſei denn, um mich noch weiter zu zerſtreuen; das Nacheinander werden iſt und bleibt der Knoten. Homers Sprache ſei ſo vortrefflich, als ſie ſeyn Seine a) Laok. p. 180. 181. O 5
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0223" n="217"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Erſtes Waͤldchen.</hi></fw><lb/> Haupte des goͤttlichen Kuͤnſtlers kann der Schild<lb/> mit allen ſeinen Figuren ein maleriſches Ganzes ge-<lb/> bildet haben; ich muß aufs neue das Schild herum,<lb/> wenn ich die mit jedem ſucceſſiven Wortzuge verlohr-<lb/> ne Figur wieder ſehen ſoll, und doch wo ſind ſie,<lb/> wenn ich ſie zu einem ganzen Schilde ordnen ſoll?<lb/> Das <hi rendition="#fr">Werdenſehen</hi> hat hiezu nichts gethan, und<lb/> kann hiezu nichts thun, es ſei denn, um mich noch<lb/> weiter zu zerſtreuen; das <hi rendition="#fr">Nacheinander</hi> werden<lb/> iſt und bleibt der Knoten.</p><lb/> <p>Homers Sprache ſei ſo vortrefflich, als ſie ſeyn<lb/> kann, — jedes Wort liefre ein Bild — ohne alle<lb/> Suſpenſion der Beziehungen — ſo ſchnell fortſchrei-<lb/> tend, als Diane in ihrem Gange <note place="foot" n="a)">Laok. <hi rendition="#aq">p.</hi> 180. 181.</note>; ſoll dies<lb/> ſchnelle Fortſchreitende da ſeyn, um gleichſam das<lb/> Hinderniß des Raums zu mindern, zu vernichten,<lb/> um dadurch den taͤuſchenden Anblick eines <hi rendition="#fr">raͤumli-<lb/> chen</hi> Gegenſtandes, eines Koͤrpers im Raume zu er-<lb/> wecken — dies kann keine Rede. Dazu wohl<lb/> kaum wird Homer ſeiner ſchreitenden Manier ſo treu<lb/> geblieben ſeyn: <hi rendition="#fr">dazu</hi> eben nicht fuͤr jedes Ding<lb/> nur Einen Zug gehabt; <hi rendition="#fr">dazu</hi> am wenigſten das<lb/> Conſekutive Werden gewaͤhlt haben: „um die<lb/> „Theile ſeines Gegenſtandes mit dem Fluſſe der Rede<lb/> „einerley Schritt halten zu laſſen.„ Dies <hi rendition="#fr">kann</hi><lb/> keine Rede: noch minder <hi rendition="#fr">wills</hi> die Rede des Dich-<lb/> ters: am mindſten wollte es der Erſte der Dichter.<lb/> <fw place="bottom" type="sig">O 5</fw><fw place="bottom" type="catch">Seine</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [217/0223]
Erſtes Waͤldchen.
Haupte des goͤttlichen Kuͤnſtlers kann der Schild
mit allen ſeinen Figuren ein maleriſches Ganzes ge-
bildet haben; ich muß aufs neue das Schild herum,
wenn ich die mit jedem ſucceſſiven Wortzuge verlohr-
ne Figur wieder ſehen ſoll, und doch wo ſind ſie,
wenn ich ſie zu einem ganzen Schilde ordnen ſoll?
Das Werdenſehen hat hiezu nichts gethan, und
kann hiezu nichts thun, es ſei denn, um mich noch
weiter zu zerſtreuen; das Nacheinander werden
iſt und bleibt der Knoten.
Homers Sprache ſei ſo vortrefflich, als ſie ſeyn
kann, — jedes Wort liefre ein Bild — ohne alle
Suſpenſion der Beziehungen — ſo ſchnell fortſchrei-
tend, als Diane in ihrem Gange a); ſoll dies
ſchnelle Fortſchreitende da ſeyn, um gleichſam das
Hinderniß des Raums zu mindern, zu vernichten,
um dadurch den taͤuſchenden Anblick eines raͤumli-
chen Gegenſtandes, eines Koͤrpers im Raume zu er-
wecken — dies kann keine Rede. Dazu wohl
kaum wird Homer ſeiner ſchreitenden Manier ſo treu
geblieben ſeyn: dazu eben nicht fuͤr jedes Ding
nur Einen Zug gehabt; dazu am wenigſten das
Conſekutive Werden gewaͤhlt haben: „um die
„Theile ſeines Gegenſtandes mit dem Fluſſe der Rede
„einerley Schritt halten zu laſſen.„ Dies kann
keine Rede: noch minder wills die Rede des Dich-
ters: am mindſten wollte es der Erſte der Dichter.
Seine
a) Laok. p. 180. 181.
O 5
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |