Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 10. Riga, 1797.

Bild:
<< vorherige Seite

Nation beschimpft und beleidigt wird; es
muß allmälich ein gemeines Gefühl
erwachen, daß jede sich an die Stelle je-
der andern fühle. Hassen wird man den
frechen Uebertreter fremder Rechte, den
Zerstörer fremder Wohlfahrt, den kecken
Beleidiger fremder Sitten und Meinun-
gen, den pralenden Aufdringer seiner eig-
nen Vorzüge an Völker, die diese nicht be-
gehren. Unter welchem Vorwande Jemand
über die Grenze tritt, dem Nachbar als
einem Sklaven das Haar abzuscheren, ihm
seine Götter aufzuzwingen, und ihm dafür
seine Nationalheiligthümer in Religion,
Kunst, Vorstellungsart und Lebensweise zu
entwenden; im Herzen jeder Nation wird
er einen Feind finden, der in seinen eig-
nen Busen blickt und sagt: "wie? wenn
das mir geschähe?" -- Wächst dies Ge-

Nation beſchimpft und beleidigt wird; es
muß allmaͤlich ein gemeines Gefuͤhl
erwachen, daß jede ſich an die Stelle je-
der andern fuͤhle. Haſſen wird man den
frechen Uebertreter fremder Rechte, den
Zerſtoͤrer fremder Wohlfahrt, den kecken
Beleidiger fremder Sitten und Meinun-
gen, den pralenden Aufdringer ſeiner eig-
nen Vorzuͤge an Voͤlker, die dieſe nicht be-
gehren. Unter welchem Vorwande Jemand
uͤber die Grenze tritt, dem Nachbar als
einem Sklaven das Haar abzuſcheren, ihm
ſeine Goͤtter aufzuzwingen, und ihm dafuͤr
ſeine Nationalheiligthuͤmer in Religion,
Kunſt, Vorſtellungsart und Lebensweiſe zu
entwenden; im Herzen jeder Nation wird
er einen Feind finden, der in ſeinen eig-
nen Buſen blickt und ſagt: „wie? wenn
das mir geſchaͤhe?“ — Waͤchſt dies Ge-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0142" n="135"/>
Nation be&#x017F;chimpft und beleidigt wird; es<lb/>
muß allma&#x0364;lich ein <hi rendition="#g">gemeines Gefu&#x0364;hl</hi><lb/>
erwachen, daß jede &#x017F;ich an die Stelle je-<lb/>
der andern fu&#x0364;hle. Ha&#x017F;&#x017F;en wird man den<lb/>
frechen Uebertreter fremder Rechte, den<lb/>
Zer&#x017F;to&#x0364;rer fremder Wohlfahrt, den kecken<lb/>
Beleidiger fremder Sitten und Meinun-<lb/>
gen, den pralenden Aufdringer &#x017F;einer eig-<lb/>
nen Vorzu&#x0364;ge an Vo&#x0364;lker, die die&#x017F;e nicht be-<lb/>
gehren. Unter welchem Vorwande Jemand<lb/>
u&#x0364;ber die Grenze tritt, dem Nachbar als<lb/>
einem Sklaven das Haar abzu&#x017F;cheren, ihm<lb/>
&#x017F;eine Go&#x0364;tter aufzuzwingen, und ihm dafu&#x0364;r<lb/>
&#x017F;eine Nationalheiligthu&#x0364;mer in Religion,<lb/>
Kun&#x017F;t, Vor&#x017F;tellungsart und Lebenswei&#x017F;e zu<lb/>
entwenden; im Herzen <hi rendition="#g">jeder</hi> Nation wird<lb/>
er einen Feind finden, der in &#x017F;einen eig-<lb/>
nen Bu&#x017F;en blickt und &#x017F;agt: &#x201E;wie? wenn<lb/>
das mir ge&#x017F;cha&#x0364;he?&#x201C; &#x2014; Wa&#x0364;ch&#x017F;t dies Ge-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[135/0142] Nation beſchimpft und beleidigt wird; es muß allmaͤlich ein gemeines Gefuͤhl erwachen, daß jede ſich an die Stelle je- der andern fuͤhle. Haſſen wird man den frechen Uebertreter fremder Rechte, den Zerſtoͤrer fremder Wohlfahrt, den kecken Beleidiger fremder Sitten und Meinun- gen, den pralenden Aufdringer ſeiner eig- nen Vorzuͤge an Voͤlker, die dieſe nicht be- gehren. Unter welchem Vorwande Jemand uͤber die Grenze tritt, dem Nachbar als einem Sklaven das Haar abzuſcheren, ihm ſeine Goͤtter aufzuzwingen, und ihm dafuͤr ſeine Nationalheiligthuͤmer in Religion, Kunſt, Vorſtellungsart und Lebensweiſe zu entwenden; im Herzen jeder Nation wird er einen Feind finden, der in ſeinen eig- nen Buſen blickt und ſagt: „wie? wenn das mir geſchaͤhe?“ — Waͤchſt dies Ge-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet10_1797
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet10_1797/142
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 10. Riga, 1797, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet10_1797/142>, abgerufen am 22.11.2024.