Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 9. Riga, 1797.soll er bleiben lassen, oder ich werde mich sei- 59. "Da ich es nur allzu sehr empfinde, wie *) Wie nimmt man sich seines eignen baufälli-
gen Hauses an? Man bessert es ernstlich oder reißt es nieder und bauet ein andres: in beiden Fällen aber erkundigt man sich, was denn eigentlich Schadhaftes an ihm sei. Der Ungenannte gab vieles dafür aus, was es nicht ist; Leßing nahm vieles, was er da- für erkannte, Gewandsweise, gymnastisch in seinen Schutz. Dies ist nicht der reine Weg zur Wahrheit, obgleich darauf sehr viel Scharf- sinn, hie und da unnöthig, angewandt wor- den ist. Ich kann also den Weg, den Leßing in Führung dieser Streitigkeit nahm, nicht ganz billigen, wie er denn auch seine eigentli- che Absicht nicht erreicht hat. A. d. H. ſoll er bleiben laſſen, oder ich werde mich ſei- 59. „Da ich es nur allzu ſehr empfinde, wie *) Wie nimmt man ſich ſeines eignen baufaͤlli-
gen Hauſes an? Man beſſert es ernſtlich oder reißt es nieder und bauet ein andres: in beiden Faͤllen aber erkundigt man ſich, was denn eigentlich Schadhaftes an ihm ſei. Der Ungenannte gab vieles dafuͤr aus, was es nicht iſt; Leßing nahm vieles, was er da- fuͤr erkannte, Gewandsweiſe, gymnaſtiſch in ſeinen Schutz. Dies iſt nicht der reine Weg zur Wahrheit, obgleich darauf ſehr viel Scharf- ſinn, hie und da unnoͤthig, angewandt wor- den iſt. Ich kann alſo den Weg, den Leßing in Fuͤhrung dieſer Streitigkeit nahm, nicht ganz billigen, wie er denn auch ſeine eigentli- che Abſicht nicht erreicht hat. A. d. H. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0145" n="138"/> ſoll er bleiben laſſen, oder ich werde mich ſei-<lb/> nes einſtuͤrzenden Hauſes ſo annehmen als<lb/> meines eigenen.“ <note place="foot" n="*)">Wie nimmt man ſich ſeines eignen baufaͤlli-<lb/> gen Hauſes an? Man beſſert es ernſtlich<lb/> oder reißt es nieder und bauet ein andres:<lb/> in beiden Faͤllen aber erkundigt man ſich,<lb/> was denn eigentlich Schadhaftes an ihm ſei.<lb/> Der Ungenannte gab vieles dafuͤr aus, was<lb/> es nicht iſt; Leßing nahm vieles, was er da-<lb/> fuͤr erkannte, Gewandsweiſe, gymnaſtiſch in<lb/> ſeinen Schutz. Dies iſt nicht der reine Weg<lb/> zur Wahrheit, obgleich darauf ſehr viel Scharf-<lb/> ſinn, hie und da unnoͤthig, angewandt wor-<lb/> den iſt. Ich kann alſo den Weg, den <hi rendition="#g">Leßing</hi><lb/> in Fuͤhrung dieſer Streitigkeit nahm, nicht<lb/> ganz billigen, wie er denn auch ſeine eigentli-<lb/> che Abſicht nicht erreicht hat.<lb/> A. d. H.</note></p><lb/> <p>59.</p><lb/> <p>„Da ich es nur allzu ſehr empfinde, wie<lb/> viel trockner und ſtumpfer ich an Geiſt und<lb/> Sinnen dieſe vier Jahre geworden bin: ſo<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [138/0145]
ſoll er bleiben laſſen, oder ich werde mich ſei-
nes einſtuͤrzenden Hauſes ſo annehmen als
meines eigenen.“ *)
59.
„Da ich es nur allzu ſehr empfinde, wie
viel trockner und ſtumpfer ich an Geiſt und
Sinnen dieſe vier Jahre geworden bin: ſo
*) Wie nimmt man ſich ſeines eignen baufaͤlli-
gen Hauſes an? Man beſſert es ernſtlich
oder reißt es nieder und bauet ein andres:
in beiden Faͤllen aber erkundigt man ſich,
was denn eigentlich Schadhaftes an ihm ſei.
Der Ungenannte gab vieles dafuͤr aus, was
es nicht iſt; Leßing nahm vieles, was er da-
fuͤr erkannte, Gewandsweiſe, gymnaſtiſch in
ſeinen Schutz. Dies iſt nicht der reine Weg
zur Wahrheit, obgleich darauf ſehr viel Scharf-
ſinn, hie und da unnoͤthig, angewandt wor-
den iſt. Ich kann alſo den Weg, den Leßing
in Fuͤhrung dieſer Streitigkeit nahm, nicht
ganz billigen, wie er denn auch ſeine eigentli-
che Abſicht nicht erreicht hat.
A. d. H.
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