Thorheiten haben wir nicht nachgeahmt? welchen werden wir noch nachahmen! Nicht etwa nur im Spanischen, Englischen, Fran- zösischen, Griechischen, Ebräischen, selbst im Arabischen, Tatarischen, Sinesischen Geschmack haben wir Deutsche gesungen und gedichtet. Die Sprache aller Wissen- schaften, Bilder und Ausdrücke der ver- schiedensten Völker sind in unsre Poesie, in jeden Vortrag, der das Volk angehen soll, geflossen, so daß von jener Tonhal- tenden, gleichmüthigen Denk- und Schreib- art, in welche Griechen und Römer das We- sen der Schreibart setzten, wenige einen Be- griff zu haben scheinen. Aus allen Völkern wird für alle Völker, aus allen Sprachen für alle Sprachen geschrieben; die subtilste Abstraction und die niedrigste Popularität, finden in demselben Buch, oft auf dersel- ben Seite neben einander Raum. Wenn
Thorheiten haben wir nicht nachgeahmt? welchen werden wir noch nachahmen! Nicht etwa nur im Spaniſchen, Engliſchen, Fran- zoͤſiſchen, Griechiſchen, Ebraͤiſchen, ſelbſt im Arabiſchen, Tatariſchen, Sineſiſchen Geſchmack haben wir Deutſche geſungen und gedichtet. Die Sprache aller Wiſſen- ſchaften, Bilder und Ausdruͤcke der ver- ſchiedenſten Voͤlker ſind in unſre Poeſie, in jeden Vortrag, der das Volk angehen ſoll, gefloſſen, ſo daß von jener Tonhal- tenden, gleichmuͤthigen Denk- und Schreib- art, in welche Griechen und Roͤmer das We- ſen der Schreibart ſetzten, wenige einen Be- griff zu haben ſcheinen. Aus allen Voͤlkern wird fuͤr alle Voͤlker, aus allen Sprachen fuͤr alle Sprachen geſchrieben; die ſubtilſte Abſtraction und die niedrigſte Popularitaͤt, finden in demſelben Buch, oft auf derſel- ben Seite neben einander Raum. Wenn
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Thorheiten haben wir nicht nachgeahmt?
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etwa nur im Spaniſchen, Engliſchen, Fran-
zoͤſiſchen, Griechiſchen, Ebraͤiſchen, ſelbſt
im Arabiſchen, Tatariſchen, Sineſiſchen
Geſchmack haben wir Deutſche geſungen
und gedichtet. Die Sprache aller Wiſſen-
ſchaften, Bilder und Ausdruͤcke der ver-
ſchiedenſten Voͤlker ſind in unſre Poeſie,
in jeden Vortrag, der das Volk angehen
ſoll, gefloſſen, ſo daß von jener Tonhal-
tenden, gleichmuͤthigen Denk- und Schreib-
art, in welche Griechen und Roͤmer das We-
ſen der Schreibart ſetzten, wenige einen Be-
griff zu haben ſcheinen. Aus allen Voͤlkern
wird fuͤr alle Voͤlker, aus allen Sprachen
fuͤr alle Sprachen geſchrieben; die ſubtilſte
Abſtraction und die niedrigſte Popularitaͤt,
finden in demſelben Buch, oft auf derſel-
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Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 8. Riga, 1796, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet08_1796/77>, abgerufen am 16.02.2025.
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