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Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 8. Riga, 1796.

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von denen, die die Alten mit Geist lesen,
wählt Jeder sich gern seinen Alten, den
er über Alle hinaussetzt, nach welchem er
dann, auch mit Fehlern und Schwächen,
seine Denkart präget. Eine Reihe von
Beispielen wäre anzuführen, aus welchen
erhellen würde, wie selten wir in den Al-
ten sie selbst, wie noch seltner wir in
ihnen ihr Höchstes, das [fremdsprachliches Material - Zeichen fehlt]
der Griechen- und Römerwelt, ihre Re-
gel des Geschmacks im Wahren,
Guten und Schönen studiren. Am
öftersten schauen wir sie wie Narcisse an,
denken daran, was Wir über Sie zu
sagen haben, und bewundern unsre Gestalt
in dem flüssigen Spiegel der alten heiligen
Quelle. Statt an ihnen gehen zu lernen,
verlieren manche durch sie den gesunden
Brauch ihrer eignen Glieder.

von denen, die die Alten mit Geiſt leſen,
waͤhlt Jeder ſich gern ſeinen Alten, den
er uͤber Alle hinausſetzt, nach welchem er
dann, auch mit Fehlern und Schwaͤchen,
ſeine Denkart praͤget. Eine Reihe von
Beiſpielen waͤre anzufuͤhren, aus welchen
erhellen wuͤrde, wie ſelten wir in den Al-
ten ſie ſelbſt, wie noch ſeltner wir in
ihnen ihr Hoͤchſtes, das [fremdsprachliches Material – Zeichen fehlt]
der Griechen- und Roͤmerwelt, ihre Re-
gel des Geſchmacks im Wahren,
Guten und Schoͤnen ſtudiren. Am
oͤfterſten ſchauen wir ſie wie Narciſſe an,
denken daran, was Wir uͤber Sie zu
ſagen haben, und bewundern unſre Geſtalt
in dem fluͤſſigen Spiegel der alten heiligen
Quelle. Statt an ihnen gehen zu lernen,
verlieren manche durch ſie den geſunden
Brauch ihrer eignen Glieder.

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[23/0042] von denen, die die Alten mit Geiſt leſen, waͤhlt Jeder ſich gern ſeinen Alten, den er uͤber Alle hinausſetzt, nach welchem er dann, auch mit Fehlern und Schwaͤchen, ſeine Denkart praͤget. Eine Reihe von Beiſpielen waͤre anzufuͤhren, aus welchen erhellen wuͤrde, wie ſelten wir in den Al- ten ſie ſelbſt, wie noch ſeltner wir in ihnen ihr Hoͤchſtes, das _ der Griechen- und Roͤmerwelt, ihre Re- gel des Geſchmacks im Wahren, Guten und Schoͤnen ſtudiren. Am oͤfterſten ſchauen wir ſie wie Narciſſe an, denken daran, was Wir uͤber Sie zu ſagen haben, und bewundern unſre Geſtalt in dem fluͤſſigen Spiegel der alten heiligen Quelle. Statt an ihnen gehen zu lernen, verlieren manche durch ſie den geſunden Brauch ihrer eignen Glieder.

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 8. Riga, 1796, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet08_1796/42>, abgerufen am 28.03.2024.