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Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 8. Riga, 1796.

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die Nation, und sie wird auch an feine-
ren Zügen der Sittlichkeit Geschmack fin-
den. Da jetzt Alles sich lesend vergnü-
gen will, meistens aber das Schlechtste lie-
set; wären nicht hundert Mittel da, diese
Lesereien aufs Bessere zu leiten? Bedienet
Euch nur einiger dieser Mittel, und das
Verderben ist noch abwendbar. Sehr un-
deutsch wäre es, wenn bei uns die Mo-
ralität ein verspotteter Name würde;
der alten Sitte nach gehört sie mit zu un-
serm Charakter und kann uns durch nichts
ersetzt werden. Uns fehlet Witz und leichte
Natur, uns fehlt ein schöner Himmel, die
Unmoralitäten nur einigermaassen lustig
und leidlich zu machen; Deutsche Ueppig-
keit war daher von jeher grob, weil sie
in unser Klima, in unsre Lebensart und
überhaupt zum Deutschen Charakter nicht
gehöret.

Achte Samml. K

die Nation, und ſie wird auch an feine-
ren Zuͤgen der Sittlichkeit Geſchmack fin-
den. Da jetzt Alles ſich leſend vergnuͤ-
gen will, meiſtens aber das Schlechtſte lie-
ſet; waͤren nicht hundert Mittel da, dieſe
Leſereien aufs Beſſere zu leiten? Bedienet
Euch nur einiger dieſer Mittel, und das
Verderben iſt noch abwendbar. Sehr un-
deutſch waͤre es, wenn bei uns die Mo-
ralitaͤt ein verſpotteter Name wuͤrde;
der alten Sitte nach gehoͤrt ſie mit zu un-
ſerm Charakter und kann uns durch nichts
erſetzt werden. Uns fehlet Witz und leichte
Natur, uns fehlt ein ſchoͤner Himmel, die
Unmoralitaͤten nur einigermaaſſen luſtig
und leidlich zu machen; Deutſche Ueppig-
keit war daher von jeher grob, weil ſie
in unſer Klima, in unſre Lebensart und
uͤberhaupt zum Deutſchen Charakter nicht
gehoͤret.

Achte Samml. K
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[145/0164] die Nation, und ſie wird auch an feine- ren Zuͤgen der Sittlichkeit Geſchmack fin- den. Da jetzt Alles ſich leſend vergnuͤ- gen will, meiſtens aber das Schlechtſte lie- ſet; waͤren nicht hundert Mittel da, dieſe Leſereien aufs Beſſere zu leiten? Bedienet Euch nur einiger dieſer Mittel, und das Verderben iſt noch abwendbar. Sehr un- deutſch waͤre es, wenn bei uns die Mo- ralitaͤt ein verſpotteter Name wuͤrde; der alten Sitte nach gehoͤrt ſie mit zu un- ſerm Charakter und kann uns durch nichts erſetzt werden. Uns fehlet Witz und leichte Natur, uns fehlt ein ſchoͤner Himmel, die Unmoralitaͤten nur einigermaaſſen luſtig und leidlich zu machen; Deutſche Ueppig- keit war daher von jeher grob, weil ſie in unſer Klima, in unſre Lebensart und uͤberhaupt zum Deutſchen Charakter nicht gehoͤret. Achte Samml. K

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 8. Riga, 1796, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet08_1796/164>, abgerufen am 06.05.2024.