ab, und charakterisire sie also, daß man sogleich ihre Natur wahr- nimmt. Dies hat die Kunst gethan, und zwar (ich gehe alles vorüber, was für lü- sterne Augen, in Wohllust- Kammern oder Gärten gemacht wurde) auf eine dem Ge- nius dieser Gattung ganz gemäße Weise. Diesem jungen Satyr sprießt ein Hörn- chen, jenem ein Schweifchen; sein spitzes Ohr lauscht, sein Blick, seine Zunge lü- stet; also ist er schon seiner Art nach zum gaukelnden Sprunge, zur lüsternen Fröh- lichkeit gemacht; in dieser Art hat die Kunst ihn ergriffen, und charakterisiret. Es giebt Satyren von großer Schönheit; nur sobald sie Satyren sind, zeichnete sie die Kunst aus, als der reinen Menschheit nicht ganz würdig. War es Grobheit oder zartes Gefühl, das diesen Unterschied machte? Unser Auge würde vielleicht nicht
Sechste Samml. E
ab, und charakteriſire ſie alſo, daß man ſogleich ihre Natur wahr- nimmt. Dies hat die Kunſt gethan, und zwar (ich gehe alles voruͤber, was fuͤr luͤ- ſterne Augen, in Wohlluſt- Kammern oder Gaͤrten gemacht wurde) auf eine dem Ge- nius dieſer Gattung ganz gemaͤße Weiſe. Dieſem jungen Satyr ſprießt ein Hoͤrn- chen, jenem ein Schweifchen; ſein ſpitzes Ohr lauſcht, ſein Blick, ſeine Zunge luͤ- ſtet; alſo iſt er ſchon ſeiner Art nach zum gaukelnden Sprunge, zur luͤſternen Froͤh- lichkeit gemacht; in dieſer Art hat die Kunſt ihn ergriffen, und charakteriſiret. Es giebt Satyren von großer Schoͤnheit; nur ſobald ſie Satyren ſind, zeichnete ſie die Kunſt aus, als der reinen Menſchheit nicht ganz wuͤrdig. War es Grobheit oder zartes Gefuͤhl, das dieſen Unterſchied machte? Unſer Auge wuͤrde vielleicht nicht
Sechste Samml. E
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ab, und charakteriſire ſie alſo,
daß man ſogleich ihre Natur wahr-
nimmt. Dies hat die Kunſt gethan, und
zwar (ich gehe alles voruͤber, was fuͤr luͤ-
ſterne Augen, in Wohlluſt- Kammern oder
Gaͤrten gemacht wurde) auf eine dem Ge-
nius dieſer Gattung ganz gemaͤße Weiſe.
Dieſem jungen Satyr ſprießt ein Hoͤrn-
chen, jenem ein Schweifchen; ſein ſpitzes
Ohr lauſcht, ſein Blick, ſeine Zunge luͤ-
ſtet; alſo iſt er ſchon ſeiner Art nach zum
gaukelnden Sprunge, zur luͤſternen Froͤh-
lichkeit gemacht; in dieſer Art hat die
Kunſt ihn ergriffen, und charakteriſiret.
Es giebt Satyren von großer Schoͤnheit;
nur ſobald ſie Satyren ſind, zeichnete ſie
die Kunſt aus, als der reinen Menſchheit
nicht ganz wuͤrdig. War es Grobheit oder
zartes Gefuͤhl, das dieſen Unterſchied
machte? Unſer Auge wuͤrde vielleicht nicht
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Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 6. Riga, 1795, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet06_1795/80>, abgerufen am 16.07.2024.
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