bar gemacht, die mit solcher Energie we- der Sprache noch Musik, noch irgend ei- ne andre Bemühung der Menschen aus- drücken konnte. Diese Formen ordnete, reinigte sie, und stellte sie selbst in deut- lichen, ewigen Begriffen dem Auge jedes Sehenden für alle Zeiten dar, in welchen sich Menschheit in diesen Formen genießt und fühlet, in welchen Menschheit nach diesen Formen wirket. Sie giebt uns also nicht nur eine sichtbare Logik und Meta- physik unsres Geschlechts in seinen vor- nehmsten Gestalten, nach Altern, Sinnes- arten, Neigungen und Trieben; sondern indem sie diese mit Sinn und Wahl dar- stellt, ruft sie als eine zweite Schöpferinn uns schweigend zu: "blicke in diesen Spie- gel, o Mensch; Das soll und kann dein Geschlecht seyn. So hat sich die Natur in ihm mit Würde und Einfalt, mit Sinn
bar gemacht, die mit ſolcher Energie we- der Sprache noch Muſik, noch irgend ei- ne andre Bemuͤhung der Menſchen aus- druͤcken konnte. Dieſe Formen ordnete, reinigte ſie, und ſtellte ſie ſelbſt in deut- lichen, ewigen Begriffen dem Auge jedes Sehenden fuͤr alle Zeiten dar, in welchen ſich Menſchheit in dieſen Formen genießt und fuͤhlet, in welchen Menſchheit nach dieſen Formen wirket. Sie giebt uns alſo nicht nur eine ſichtbare Logik und Meta- phyſik unſres Geſchlechts in ſeinen vor- nehmſten Geſtalten, nach Altern, Sinnes- arten, Neigungen und Trieben; ſondern indem ſie dieſe mit Sinn und Wahl dar- ſtellt, ruft ſie als eine zweite Schoͤpferinn uns ſchweigend zu: „blicke in dieſen Spie- gel, o Menſch; Das ſoll und kann dein Geſchlecht ſeyn. So hat ſich die Natur in ihm mit Wuͤrde und Einfalt, mit Sinn
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bar gemacht, die mit ſolcher Energie we-
der Sprache noch Muſik, noch irgend ei-
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druͤcken konnte. Dieſe Formen ordnete,
reinigte ſie, und ſtellte ſie ſelbſt in deut-
lichen, ewigen Begriffen dem Auge jedes
Sehenden fuͤr alle Zeiten dar, in welchen
ſich Menſchheit in dieſen Formen genießt
und fuͤhlet, in welchen Menſchheit nach
dieſen Formen wirket. Sie giebt uns alſo
nicht nur eine ſichtbare Logik und Meta-
phyſik unſres Geſchlechts in ſeinen vor-
nehmſten Geſtalten, nach Altern, Sinnes-
arten, Neigungen und Trieben; ſondern
indem ſie dieſe mit Sinn und Wahl dar-
ſtellt, ruft ſie als eine zweite Schoͤpferinn
uns ſchweigend zu: „blicke in dieſen Spie-
gel, o Menſch; Das ſoll und kann dein
Geſchlecht ſeyn. So hat ſich die Natur
in ihm mit Wuͤrde und Einfalt, mit Sinn
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Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 6. Riga, 1795, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet06_1795/19>, abgerufen am 16.07.2024.
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