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Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 6. Riga, 1795.

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liche Kleidung der Europäer hat einen eben
so barbarischen Ursprung. Zum Reiten
sind wir da; das zeigt die Bekleidung un-
srer Beine. Die übrigen Fetzen haben wir
uns nach und nach, insonderheit der Ta-
schen wegen, zugeleget, und als ob wir
uns des Stranges unaufhörlich bewußt
seyn sollten, insonderheit unsern Hals jäm-
merlich zugeschnüret; eine Kleidung, in
der wir allen Nationen der Erde lächer-
lich werden.

Da blicke man eine Muse, eine Juno,
ja nur irgend eine bekleidete griechische
Nymphe an, und erröthe. Man betrachte
einen griechischen Mann, er sei Jüngling,
Held oder Weiser, in seinem Gewande;
und sehe beschämt auf sich selber. Fühl-
ten beide Geschlechter die Würde ihrer
Körpergestalt und hielten ihre Zwecke für
Pflicht; hätten sie sich diesen Fesseln bar-

liche Kleidung der Europaͤer hat einen eben
ſo barbariſchen Urſprung. Zum Reiten
ſind wir da; das zeigt die Bekleidung un-
ſrer Beine. Die uͤbrigen Fetzen haben wir
uns nach und nach, inſonderheit der Ta-
ſchen wegen, zugeleget, und als ob wir
uns des Stranges unaufhoͤrlich bewußt
ſeyn ſollten, inſonderheit unſern Hals jaͤm-
merlich zugeſchnuͤret; eine Kleidung, in
der wir allen Nationen der Erde laͤcher-
lich werden.

Da blicke man eine Muſe, eine Juno,
ja nur irgend eine bekleidete griechiſche
Nymphe an, und erroͤthe. Man betrachte
einen griechiſchen Mann, er ſei Juͤngling,
Held oder Weiſer, in ſeinem Gewande;
und ſehe beſchaͤmt auf ſich ſelber. Fuͤhl-
ten beide Geſchlechter die Wuͤrde ihrer
Koͤrpergeſtalt und hielten ihre Zwecke fuͤr
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[87/0102] liche Kleidung der Europaͤer hat einen eben ſo barbariſchen Urſprung. Zum Reiten ſind wir da; das zeigt die Bekleidung un- ſrer Beine. Die uͤbrigen Fetzen haben wir uns nach und nach, inſonderheit der Ta- ſchen wegen, zugeleget, und als ob wir uns des Stranges unaufhoͤrlich bewußt ſeyn ſollten, inſonderheit unſern Hals jaͤm- merlich zugeſchnuͤret; eine Kleidung, in der wir allen Nationen der Erde laͤcher- lich werden. Da blicke man eine Muſe, eine Juno, ja nur irgend eine bekleidete griechiſche Nymphe an, und erroͤthe. Man betrachte einen griechiſchen Mann, er ſei Juͤngling, Held oder Weiſer, in ſeinem Gewande; und ſehe beſchaͤmt auf ſich ſelber. Fuͤhl- ten beide Geſchlechter die Wuͤrde ihrer Koͤrpergeſtalt und hielten ihre Zwecke fuͤr Pflicht; haͤtten ſie ſich dieſen Feſſeln bar-

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 6. Riga, 1795, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet06_1795/102>, abgerufen am 21.11.2024.