Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 5. Riga, 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

sprach, der war ein Knecht, ein Diener.
Dadurch also hat die Deutsche Sprache
nicht nur den wichtigsten Theil ihres Pu-
blicums verlohren, sondern die Stände
selbst haben sich dergestalt in ihrer Denk-
art entzweiet, daß ihnen gleichsam ein zu-
trauliches gemeinschaftliches Or-
gan ihrer innigsten Gefühle fehlet.
Beide sind auf ihrem getrennten Wege
nicht so weit fortgeschritten, als sie in
Wirkung und Gegenwirkung auf einander
hätten kommen mögen, indem der Eine
Theil meistens an Phrasen, an Worten
ohne Gegenstand, leer von innerer Bil-
dung hangen bleiben mußte; dem andern
hingegen bei aller Mühe des Fortstrebens
ewig und immer eine Mauer entgegenge-
stellt war, an welcher leere Schälle zurück-
prallten. Ohne eine gemeinschaftliche Lan-
des- und Muttersprache, in der alle Stän-

de

ſprach, der war ein Knecht, ein Diener.
Dadurch alſo hat die Deutſche Sprache
nicht nur den wichtigſten Theil ihres Pu-
blicums verlohren, ſondern die Staͤnde
ſelbſt haben ſich dergeſtalt in ihrer Denk-
art entzweiet, daß ihnen gleichſam ein zu-
trauliches gemeinſchaftliches Or-
gan ihrer innigſten Gefuͤhle fehlet.
Beide ſind auf ihrem getrennten Wege
nicht ſo weit fortgeſchritten, als ſie in
Wirkung und Gegenwirkung auf einander
haͤtten kommen moͤgen, indem der Eine
Theil meiſtens an Phraſen, an Worten
ohne Gegenſtand, leer von innerer Bil-
dung hangen bleiben mußte; dem andern
hingegen bei aller Muͤhe des Fortſtrebens
ewig und immer eine Mauer entgegenge-
ſtellt war, an welcher leere Schaͤlle zuruͤck-
prallten. Ohne eine gemeinſchaftliche Lan-
des- und Mutterſprache, in der alle Staͤn-

de
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0079" n="64"/>
&#x017F;prach, der war ein Knecht, ein Diener.<lb/>
Dadurch al&#x017F;o hat die Deut&#x017F;che Sprache<lb/>
nicht nur den wichtig&#x017F;ten Theil ihres Pu-<lb/>
blicums verlohren, &#x017F;ondern die Sta&#x0364;nde<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t haben &#x017F;ich derge&#x017F;talt in ihrer Denk-<lb/>
art entzweiet, daß ihnen gleich&#x017F;am ein <hi rendition="#g">zu</hi>-<lb/><hi rendition="#g">trauliches gemein&#x017F;chaftliches Or</hi>-<lb/><hi rendition="#g">gan ihrer innig&#x017F;ten Gefu&#x0364;hle</hi> fehlet.<lb/>
Beide &#x017F;ind auf ihrem getrennten Wege<lb/>
nicht &#x017F;o weit fortge&#x017F;chritten, als &#x017F;ie in<lb/>
Wirkung und Gegenwirkung auf einander<lb/>
ha&#x0364;tten kommen mo&#x0364;gen, indem der Eine<lb/>
Theil mei&#x017F;tens an Phra&#x017F;en, an Worten<lb/>
ohne Gegen&#x017F;tand, leer von innerer Bil-<lb/>
dung hangen bleiben mußte; dem andern<lb/>
hingegen bei aller Mu&#x0364;he des Fort&#x017F;trebens<lb/>
ewig und immer eine Mauer entgegenge-<lb/>
&#x017F;tellt war, an welcher leere Scha&#x0364;lle zuru&#x0364;ck-<lb/>
prallten. Ohne eine gemein&#x017F;chaftliche Lan-<lb/>
des- und Mutter&#x017F;prache, in der alle Sta&#x0364;n-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">de</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[64/0079] ſprach, der war ein Knecht, ein Diener. Dadurch alſo hat die Deutſche Sprache nicht nur den wichtigſten Theil ihres Pu- blicums verlohren, ſondern die Staͤnde ſelbſt haben ſich dergeſtalt in ihrer Denk- art entzweiet, daß ihnen gleichſam ein zu- trauliches gemeinſchaftliches Or- gan ihrer innigſten Gefuͤhle fehlet. Beide ſind auf ihrem getrennten Wege nicht ſo weit fortgeſchritten, als ſie in Wirkung und Gegenwirkung auf einander haͤtten kommen moͤgen, indem der Eine Theil meiſtens an Phraſen, an Worten ohne Gegenſtand, leer von innerer Bil- dung hangen bleiben mußte; dem andern hingegen bei aller Muͤhe des Fortſtrebens ewig und immer eine Mauer entgegenge- ſtellt war, an welcher leere Schaͤlle zuruͤck- prallten. Ohne eine gemeinſchaftliche Lan- des- und Mutterſprache, in der alle Staͤn- de

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet05_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet05_1795/79
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 5. Riga, 1795, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet05_1795/79>, abgerufen am 23.11.2024.