Formen. Solange es Vernunft und Wil- len im Menschen giebt: so lange wird es ein verborgenes, stilles Publicum für Philosophie geben; nur erwarte man dieses nie sichtbar auf einem Markt, oder in einer Schule.
Fassen wir, was gesagt ist, zusammen: (denn vom politischen Publicum der Grie- chen wollen wir nicht reden,) so ergiebt sich, daß in Ansehung der Sprache, der Kunst und des Geschmacks gegen die Grie- chen, wie wir sie jetzt nehmen, wir ei- gentlich noch gar kein Publicum haben und gehabt haben. Mit Wohlgefallen ha- ben wir uns eine Cultur andichten lassen, von der ganze Stände und Provinzen durchaus nichts wissen; und schlummern auf diesem erträumten Ruhme. Ich fürch- te und hoffe, daß uns die Zeit aus die- sem Schlummer wecken werde. Unsere
Formen. Solange es Vernunft und Wil- len im Menſchen giebt: ſo lange wird es ein verborgenes, ſtilles Publicum fuͤr Philoſophie geben; nur erwarte man dieſes nie ſichtbar auf einem Markt, oder in einer Schule.
Faſſen wir, was geſagt iſt, zuſammen: (denn vom politiſchen Publicum der Grie- chen wollen wir nicht reden,) ſo ergiebt ſich, daß in Anſehung der Sprache, der Kunſt und des Geſchmacks gegen die Grie- chen, wie wir ſie jetzt nehmen, wir ei- gentlich noch gar kein Publicum haben und gehabt haben. Mit Wohlgefallen ha- ben wir uns eine Cultur andichten laſſen, von der ganze Staͤnde und Provinzen durchaus nichts wiſſen; und ſchlummern auf dieſem ertraͤumten Ruhme. Ich fuͤrch- te und hoffe, daß uns die Zeit aus die- ſem Schlummer wecken werde. Unſere
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Formen. Solange es Vernunft und Wil-
len im Menſchen giebt: ſo lange wird es
ein verborgenes, ſtilles Publicum
fuͤr Philoſophie geben; nur erwarte
man dieſes nie ſichtbar auf einem Markt,
oder in einer Schule.
Faſſen wir, was geſagt iſt, zuſammen:
(denn vom politiſchen Publicum der Grie-
chen wollen wir nicht reden,) ſo ergiebt
ſich, daß in Anſehung der Sprache, der
Kunſt und des Geſchmacks gegen die Grie-
chen, wie wir ſie jetzt nehmen, wir ei-
gentlich noch gar kein Publicum haben
und gehabt haben. Mit Wohlgefallen ha-
ben wir uns eine Cultur andichten laſſen,
von der ganze Staͤnde und Provinzen
durchaus nichts wiſſen; und ſchlummern
auf dieſem ertraͤumten Ruhme. Ich fuͤrch-
te und hoffe, daß uns die Zeit aus die-
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Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 5. Riga, 1795, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet05_1795/101>, abgerufen am 04.07.2024.
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