Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 4. Riga, 1794.hält ihr Besitzer diese, als sein eigenstes haͤlt ihr Beſitzer dieſe, als ſein eigenſtes <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0089" n="84"/> haͤlt ihr Beſitzer dieſe, als ſein eigenſtes<lb/> Eigenthum theuer und werth; unvermerkt<lb/> entwiſchen ſie ihm nur, wenn nicht etwa<lb/> gewaltige Leidenſchaften, außerordentliche<lb/> Zeitumſtaͤnde und Situationen ſie mit Ge-<lb/> walt erpreſſen und herausfordern. Dann<lb/> ſtreitet er aber auch fuͤr ſie, eben weil ſie<lb/> Schwaͤchen ſeiner Natur, Gebilde ſeiner<lb/> Phantaſie ſind, als fuͤr ſeine liebſten Kin-<lb/> der. Wer um die wichtigſte Wahrheit mit<lb/> ihm ficht, wird nie ſo ſehr ſein Gegner<lb/> ſeyn, als wer gegen eine Lieblingsmeinung,<lb/> die wie ein Polypus in ſein Herz gewach-<lb/> ſen iſt, einige Befremdung aͤußert. Gehen<lb/> Sie, m. H., in Ihren Gedanken die Zahl<lb/> Derer durch, die Sie in Anſehung ihres<lb/> Innern am naͤchſten gekannt haben; Sie<lb/> werden ſich ſonderbarer Wahngeſtalten<lb/> erinnern.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [84/0089]
haͤlt ihr Beſitzer dieſe, als ſein eigenſtes
Eigenthum theuer und werth; unvermerkt
entwiſchen ſie ihm nur, wenn nicht etwa
gewaltige Leidenſchaften, außerordentliche
Zeitumſtaͤnde und Situationen ſie mit Ge-
walt erpreſſen und herausfordern. Dann
ſtreitet er aber auch fuͤr ſie, eben weil ſie
Schwaͤchen ſeiner Natur, Gebilde ſeiner
Phantaſie ſind, als fuͤr ſeine liebſten Kin-
der. Wer um die wichtigſte Wahrheit mit
ihm ficht, wird nie ſo ſehr ſein Gegner
ſeyn, als wer gegen eine Lieblingsmeinung,
die wie ein Polypus in ſein Herz gewach-
ſen iſt, einige Befremdung aͤußert. Gehen
Sie, m. H., in Ihren Gedanken die Zahl
Derer durch, die Sie in Anſehung ihres
Innern am naͤchſten gekannt haben; Sie
werden ſich ſonderbarer Wahngeſtalten
erinnern.
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