Th. Wie, Philokles? Sie könnten nie anders lieben, als auf diese Art? War Palämons Charakter Ihnen gleich- gültig, da er Sie zu dem langen Brief- wechsel vermochte, der Ihrer neuerlichen persönlichen Bekanntschaft voranging?
Ph. Ich kann dies nicht läugnen; und jetzt, dünkt mich, verstehe ich Ihr Geheim- niß, und begreife wie ich mich dazu vor- bereiten muß. Denn eben wie ich damals als ich Palämon zu lieben anfing, mich ge- nöthigt sah, mir eine Art von materiellem Gegenstande zu bilden und immer ein sol- ches Bild im Kopf hatte, so oft ich an ihn dachte: eben so muß ichs in diesem Falle zu machen suchen --
Th. Mich dünkt, Sie könnten immer so viel Gefälligkeit gegen das menschliche Geschlecht haben, als gegen die alten Rö- mer, in welche Sie, aller ihrer Fehler un-
Th. Wie, Philokles? Sie koͤnnten nie anders lieben, als auf dieſe Art? War Palaͤmons Charakter Ihnen gleich- guͤltig, da er Sie zu dem langen Brief- wechſel vermochte, der Ihrer neuerlichen perſoͤnlichen Bekanntſchaft voranging?
Ph. Ich kann dies nicht laͤugnen; und jetzt, duͤnkt mich, verſtehe ich Ihr Geheim- niß, und begreife wie ich mich dazu vor- bereiten muß. Denn eben wie ich damals als ich Palaͤmon zu lieben anfing, mich ge- noͤthigt ſah, mir eine Art von materiellem Gegenſtande zu bilden und immer ein ſol- ches Bild im Kopf hatte, ſo oft ich an ihn dachte: eben ſo muß ichs in dieſem Falle zu machen ſuchen —
Th. Mich duͤnkt, Sie koͤnnten immer ſo viel Gefaͤlligkeit gegen das menſchliche Geſchlecht haben, als gegen die alten Roͤ- mer, in welche Sie, aller ihrer Fehler un-
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Th. Wie, Philokles? Sie koͤnnten
nie anders lieben, als auf dieſe Art?
War Palaͤmons Charakter Ihnen gleich-
guͤltig, da er Sie zu dem langen Brief-
wechſel vermochte, der Ihrer neuerlichen
perſoͤnlichen Bekanntſchaft voranging?
Ph. Ich kann dies nicht laͤugnen; und
jetzt, duͤnkt mich, verſtehe ich Ihr Geheim-
niß, und begreife wie ich mich dazu vor-
bereiten muß. Denn eben wie ich damals
als ich Palaͤmon zu lieben anfing, mich ge-
noͤthigt ſah, mir eine Art von materiellem
Gegenſtande zu bilden und immer ein ſol-
ches Bild im Kopf hatte, ſo oft ich an ihn
dachte: eben ſo muß ichs in dieſem Falle
zu machen ſuchen —
Th. Mich duͤnkt, Sie koͤnnten immer
ſo viel Gefaͤlligkeit gegen das menſchliche
Geſchlecht haben, als gegen die alten Roͤ-
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Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 3. Riga, 1794, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet03_1794/70>, abgerufen am 16.02.2025.
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