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Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 3. Riga, 1794.

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der ich mich befand, reißet, um mich mit
ihm umherzutreiben, mich in die Hölen zu
versetzen, in die er flüchten muß, mich zum
Mitgenossen der Unfälle zu machen, durch
die es dem Dichter beliebt, seine Bestän-
digkeit auf die Probe zu stellen.

Wie sehr ersprießlich würde es für die
Menschen seyn, wenn sich alle Künste der
Nachahmung einen gemeinschaftlichen Ge-
genstand wählten und sich einmal mit den
Gesetzen dahin verbänden, uns die Tugend
liebenswürdig und das Laster verhaßt zu
machen! Des Philosophen Pflicht ist es,
sie dazu einzuladen; er muß sich an den
Dichter, an den Mahler, an den Tonkünst-
ler wenden und ihnen auf das nachdrück-
lichste zurufen: "o ihr von höheren Fähig-
keiten, warum hat euch der Himmel be-
gabt?" -- Wird er gehört, so werden
gar bald die Mauern unsrer Palläste nicht

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der ich mich befand, reißet, um mich mit
ihm umherzutreiben, mich in die Hoͤlen zu
verſetzen, in die er fluͤchten muß, mich zum
Mitgenoſſen der Unfaͤlle zu machen, durch
die es dem Dichter beliebt, ſeine Beſtaͤn-
digkeit auf die Probe zu ſtellen.

Wie ſehr erſprießlich wuͤrde es fuͤr die
Menſchen ſeyn, wenn ſich alle Kuͤnſte der
Nachahmung einen gemeinſchaftlichen Ge-
genſtand waͤhlten und ſich einmal mit den
Geſetzen dahin verbaͤnden, uns die Tugend
liebenswuͤrdig und das Laſter verhaßt zu
machen! Des Philoſophen Pflicht iſt es,
ſie dazu einzuladen; er muß ſich an den
Dichter, an den Mahler, an den Tonkuͤnſt-
ler wenden und ihnen auf das nachdruͤck-
lichſte zurufen: „o ihr von hoͤheren Faͤhig-
keiten, warum hat euch der Himmel be-
gabt?“ — Wird er gehoͤrt, ſo werden
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K 3
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[149/0158] der ich mich befand, reißet, um mich mit ihm umherzutreiben, mich in die Hoͤlen zu verſetzen, in die er fluͤchten muß, mich zum Mitgenoſſen der Unfaͤlle zu machen, durch die es dem Dichter beliebt, ſeine Beſtaͤn- digkeit auf die Probe zu ſtellen. Wie ſehr erſprießlich wuͤrde es fuͤr die Menſchen ſeyn, wenn ſich alle Kuͤnſte der Nachahmung einen gemeinſchaftlichen Ge- genſtand waͤhlten und ſich einmal mit den Geſetzen dahin verbaͤnden, uns die Tugend liebenswuͤrdig und das Laſter verhaßt zu machen! Des Philoſophen Pflicht iſt es, ſie dazu einzuladen; er muß ſich an den Dichter, an den Mahler, an den Tonkuͤnſt- ler wenden und ihnen auf das nachdruͤck- lichſte zurufen: „o ihr von hoͤheren Faͤhig- keiten, warum hat euch der Himmel be- gabt?“ — Wird er gehoͤrt, ſo werden gar bald die Mauern unſrer Pallaͤſte nicht K 3

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 3. Riga, 1794, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet03_1794/158>, abgerufen am 21.11.2024.