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Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 2. Riga, 1793.

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menschliche Kraft kann es hindern. Ist
das Salz, das den Körper würzen soll,
abgeschmackt; wozu ist es nach dem Evan-
gelium nütz, als daß man es hinauswer-
fe, und laße es die Leute zertreten?

Auch darüber wollen wir uns also nicht
wundern, wenn gewisse alte Aeste und
Zweige unserer Verfassung nicht mehr so
viel Cultur erhalten, als ehmals. Man
fühlt, daß sie dürre Aeste sind und wünscht
junge Sproßen an ihre Stelle. Laßet uns
die beklagen, die als fruchtbare Zweige
auf einem dürren Ast stehen; laßet uns
die tadeln, die den Ast verdorren ließen
oder ihm seinen Saft entzogen; die Ach-
tung und Meinung der Zeit aber kann sich
nur nach dem was da ist, nicht was es
ehemals war oder künftig seyn wird, ge-
stalten. Jedes der Menschheit erwiesene
Unrecht rächet aufs fürchterlichste sich selbst;

menſchliche Kraft kann es hindern. Iſt
das Salz, das den Koͤrper wuͤrzen ſoll,
abgeſchmackt; wozu iſt es nach dem Evan-
gelium nuͤtz, als daß man es hinauswer-
fe, und laße es die Leute zertreten?

Auch daruͤber wollen wir uns alſo nicht
wundern, wenn gewiſſe alte Aeſte und
Zweige unſerer Verfaſſung nicht mehr ſo
viel Cultur erhalten, als ehmals. Man
fuͤhlt, daß ſie duͤrre Aeſte ſind und wuͤnſcht
junge Sproßen an ihre Stelle. Laßet uns
die beklagen, die als fruchtbare Zweige
auf einem duͤrren Aſt ſtehen; laßet uns
die tadeln, die den Aſt verdorren ließen
oder ihm ſeinen Saft entzogen; die Ach-
tung und Meinung der Zeit aber kann ſich
nur nach dem was da iſt, nicht was es
ehemals war oder kuͤnftig ſeyn wird, ge-
ſtalten. Jedes der Menſchheit erwieſene
Unrecht raͤchet aufs fuͤrchterlichſte ſich ſelbſt;

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[84/0089] menſchliche Kraft kann es hindern. Iſt das Salz, das den Koͤrper wuͤrzen ſoll, abgeſchmackt; wozu iſt es nach dem Evan- gelium nuͤtz, als daß man es hinauswer- fe, und laße es die Leute zertreten? Auch daruͤber wollen wir uns alſo nicht wundern, wenn gewiſſe alte Aeſte und Zweige unſerer Verfaſſung nicht mehr ſo viel Cultur erhalten, als ehmals. Man fuͤhlt, daß ſie duͤrre Aeſte ſind und wuͤnſcht junge Sproßen an ihre Stelle. Laßet uns die beklagen, die als fruchtbare Zweige auf einem duͤrren Aſt ſtehen; laßet uns die tadeln, die den Aſt verdorren ließen oder ihm ſeinen Saft entzogen; die Ach- tung und Meinung der Zeit aber kann ſich nur nach dem was da iſt, nicht was es ehemals war oder kuͤnftig ſeyn wird, ge- ſtalten. Jedes der Menſchheit erwieſene Unrecht raͤchet aufs fuͤrchterlichſte ſich ſelbſt;

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 2. Riga, 1793, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet02_1793/89>, abgerufen am 26.11.2024.