Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 2. Riga, 1793.

Bild:
<< vorherige Seite

Sie kann die Menschen nicht vereinigen,
ohne sie zu trennen; nicht trennen, ohne
Klüfte zwischen ihnen zu befestigen, ohne
Scheidemauern durch sie hinzuziehen. Laß
mich noch das dritte hinzufügen. Nicht
gnug, daß die bürgerliche Gesellschaft die
Menschen in verschiedene Völker und
Religionen theilet und trennet. Diese
Trennung in wenige große Theile, deren
jeder für sich ein Ganzes wäre, wäre doch
immer noch beßer als gar kein Ganzes. --
Nein; die bürgerliche Gesellschaft setzt
ihre Trennung auch in jedem dieser Theile
gleichsam bis ins Unendliche fort.

Ich. Wie so?

Er. Oder meynst du, daß ein Staat sich
ohne Verschiedenheit von Ständen
denken läßt? Er sey gut oder schlecht,
der Vollkommenheit mehr oder weniger

I 5

Sie kann die Menſchen nicht vereinigen,
ohne ſie zu trennen; nicht trennen, ohne
Kluͤfte zwiſchen ihnen zu befeſtigen, ohne
Scheidemauern durch ſie hinzuziehen. Laß
mich noch das dritte hinzufuͤgen. Nicht
gnug, daß die buͤrgerliche Geſellſchaft die
Menſchen in verſchiedene Voͤlker und
Religionen theilet und trennet. Dieſe
Trennung in wenige große Theile, deren
jeder fuͤr ſich ein Ganzes waͤre, waͤre doch
immer noch beßer als gar kein Ganzes. —
Nein; die buͤrgerliche Geſellſchaft ſetzt
ihre Trennung auch in jedem dieſer Theile
gleichſam bis ins Unendliche fort.

Ich. Wie ſo?

Er. Oder meynſt du, daß ein Staat ſich
ohne Verſchiedenheit von Staͤnden
denken laͤßt? Er ſey gut oder ſchlecht,
der Vollkommenheit mehr oder weniger

I 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0142" n="137"/>
Sie kann die Men&#x017F;chen nicht vereinigen,<lb/>
ohne &#x017F;ie zu trennen; nicht trennen, ohne<lb/>
Klu&#x0364;fte zwi&#x017F;chen ihnen zu befe&#x017F;tigen, ohne<lb/>
Scheidemauern durch &#x017F;ie hinzuziehen. Laß<lb/>
mich noch das <hi rendition="#g">dritte</hi> hinzufu&#x0364;gen. Nicht<lb/>
gnug, daß die bu&#x0364;rgerliche Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft die<lb/>
Men&#x017F;chen in ver&#x017F;chiedene Vo&#x0364;lker und<lb/>
Religionen theilet und trennet. Die&#x017F;e<lb/>
Trennung in wenige große Theile, deren<lb/>
jeder fu&#x0364;r &#x017F;ich ein Ganzes wa&#x0364;re, wa&#x0364;re doch<lb/>
immer noch beßer als gar kein Ganzes. &#x2014;<lb/>
Nein; die bu&#x0364;rgerliche Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft &#x017F;etzt<lb/>
ihre Trennung auch in jedem die&#x017F;er Theile<lb/>
gleich&#x017F;am bis ins Unendliche fort.</p><lb/>
        <p><hi rendition="#g">Ich</hi>. Wie &#x017F;o?</p><lb/>
        <p><hi rendition="#g">Er</hi>. Oder meyn&#x017F;t du, daß ein Staat &#x017F;ich<lb/>
ohne Ver&#x017F;chiedenheit von <hi rendition="#g">Sta&#x0364;nden</hi><lb/>
denken la&#x0364;ßt? Er &#x017F;ey gut oder &#x017F;chlecht,<lb/>
der Vollkommenheit mehr oder weniger<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">I 5</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[137/0142] Sie kann die Menſchen nicht vereinigen, ohne ſie zu trennen; nicht trennen, ohne Kluͤfte zwiſchen ihnen zu befeſtigen, ohne Scheidemauern durch ſie hinzuziehen. Laß mich noch das dritte hinzufuͤgen. Nicht gnug, daß die buͤrgerliche Geſellſchaft die Menſchen in verſchiedene Voͤlker und Religionen theilet und trennet. Dieſe Trennung in wenige große Theile, deren jeder fuͤr ſich ein Ganzes waͤre, waͤre doch immer noch beßer als gar kein Ganzes. — Nein; die buͤrgerliche Geſellſchaft ſetzt ihre Trennung auch in jedem dieſer Theile gleichſam bis ins Unendliche fort. Ich. Wie ſo? Er. Oder meynſt du, daß ein Staat ſich ohne Verſchiedenheit von Staͤnden denken laͤßt? Er ſey gut oder ſchlecht, der Vollkommenheit mehr oder weniger I 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet02_1793
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet02_1793/142
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 2. Riga, 1793, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet02_1793/142>, abgerufen am 22.11.2024.