dulden. "Beim ersten Anblick, sagt der Gouverneur in Brasilien, Pintoa), scheint ein Südamerikaner sanftmü- thig und harmlos; betrachtet man ihn genauer, so entdeckt man in seinem Gesicht etwas Wildes, Argwöhnisches, Dü- steres, Verdrüßliches." Ob sich nicht alles dieses aus dem Schicksal des Volks erklären ließe? Sanftmüthig und harm- los waren sie, da ihr zu ihnen kamet; und das ungebildete Wilde in den gutartigen Geschöpfen zu dem, was in ihm lag, hättet veredeln sollen. Jetzt, könnet ihr etwas anders erwarten, als daß sie argwöhnisch und düster, den tiefsten Verdruß unauslöschlich in ihrem Herzen nähren? Es ist der in sich gekrümmte Wurm, der uns häßlich vorkommt, weil wir ihn mit unserm Fuß zertreten. Jn Peru ist der Neger- sklave ein herrliches Geschöpf gegen den unterdrückten Ar- men, dem das Land zugehöret.
Doch nicht allenthalben ists ihnen entrissen und glückli- cher Weise sind die Cordilleras und die Wüsten in Chili da, die so viel tapfern Nationen noch Freiheit geben. Da sind z. E. die unüberwundnen Malochen, die Puelchen und Arau- ker, und die patagonischen Tehuelhets oder das große südli- che Volk, sechs Fuß hoch, groß und stark. "Jhre Ge- stalt ist nicht unangenehm, sie haben ein rundes, etwas fla-
ches
a)Robertsons Gesch. von Amerika B. 1. S. 537.
dulden. „Beim erſten Anblick, ſagt der Gouverneur in Braſilien, Pintoa), ſcheint ein Suͤdamerikaner ſanftmuͤ- thig und harmlos; betrachtet man ihn genauer, ſo entdeckt man in ſeinem Geſicht etwas Wildes, Argwoͤhniſches, Duͤ- ſteres, Verdruͤßliches.“ Ob ſich nicht alles dieſes aus dem Schickſal des Volks erklaͤren ließe? Sanftmuͤthig und harm- los waren ſie, da ihr zu ihnen kamet; und das ungebildete Wilde in den gutartigen Geſchoͤpfen zu dem, was in ihm lag, haͤttet veredeln ſollen. Jetzt, koͤnnet ihr etwas anders erwarten, als daß ſie argwoͤhniſch und duͤſter, den tiefſten Verdruß unausloͤſchlich in ihrem Herzen naͤhren? Es iſt der in ſich gekruͤmmte Wurm, der uns haͤßlich vorkommt, weil wir ihn mit unſerm Fuß zertreten. Jn Peru iſt der Neger- ſklave ein herrliches Geſchoͤpf gegen den unterdruͤckten Ar- men, dem das Land zugehoͤret.
Doch nicht allenthalben iſts ihnen entriſſen und gluͤckli- cher Weiſe ſind die Cordilleras und die Wuͤſten in Chili da, die ſo viel tapfern Nationen noch Freiheit geben. Da ſind z. E. die unuͤberwundnen Malochen, die Puelchen und Arau- ker, und die patagoniſchen Tehuelhets oder das große ſuͤdli- che Volk, ſechs Fuß hoch, groß und ſtark. „Jhre Ge- ſtalt iſt nicht unangenehm, ſie haben ein rundes, etwas fla-
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a)Robertſons Geſch. von Amerika B. 1. S. 537.
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dulden. „Beim erſten Anblick, ſagt der Gouverneur in
Braſilien, Pinto a), ſcheint ein Suͤdamerikaner ſanftmuͤ-
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man in ſeinem Geſicht etwas Wildes, Argwoͤhniſches, Duͤ-
ſteres, Verdruͤßliches.“ Ob ſich nicht alles dieſes aus dem
Schickſal des Volks erklaͤren ließe? Sanftmuͤthig und harm-
los waren ſie, da ihr zu ihnen kamet; und das ungebildete
Wilde in den gutartigen Geſchoͤpfen zu dem, was in ihm
lag, haͤttet veredeln ſollen. Jetzt, koͤnnet ihr etwas anders
erwarten, als daß ſie argwoͤhniſch und duͤſter, den tiefſten
Verdruß unausloͤſchlich in ihrem Herzen naͤhren? Es iſt der
in ſich gekruͤmmte Wurm, der uns haͤßlich vorkommt, weil
wir ihn mit unſerm Fuß zertreten. Jn Peru iſt der Neger-
ſklave ein herrliches Geſchoͤpf gegen den unterdruͤckten Ar-
men, dem das Land zugehoͤret.
Doch nicht allenthalben iſts ihnen entriſſen und gluͤckli-
cher Weiſe ſind die Cordilleras und die Wuͤſten in Chili da,
die ſo viel tapfern Nationen noch Freiheit geben. Da ſind
z. E. die unuͤberwundnen Malochen, die Puelchen und Arau-
ker, und die patagoniſchen Tehuelhets oder das große ſuͤdli-
che Volk, ſechs Fuß hoch, groß und ſtark. „Jhre Ge-
ſtalt iſt nicht unangenehm, ſie haben ein rundes, etwas fla-
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a) Robertſons Geſch. von Amerika B. 1. S. 537.
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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785/76>, abgerufen am 06.05.2024.
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