Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785.

Bild:
<< vorherige Seite

der Ursitz der Menschen und also auch die stärkste Bewohnung
der Welt war, sind ja noch jetzt offenbar die ältesten Einrich-
tungen, die ältesten Gebräuche und Sprachen, von denen
dieser westliche Stammbaum eines spätern Volks nichts wuß-
te und wissen konnte. Es ist eben so fremde, zu fragen: ob
der Sinese von Kain oder Abel d. i. aus einer Troglodyten-
Hirten- oder Ackercaste abstamme? als wo das amerikanische
Faulthier im Kasten Noah gehangen habe? Doch dergleichen
Erläuterungen darf ich mich hier nicht überlassen: ja selbst die
Untersuchung eines für unsre Geschichte so wichtigen Punkts,
als die Verkürzung der menschlichen Lebensjahre und die ge-
nannte große Ueberschwemmung selbst ist, muß einen andern
Ort erwarten. Gnug! der veste Mittelpunkt des größesten
Welttheils, das Urgebürge Asiens hat dem Menschengeschlecht
den ersten Wohnplatz bereitet und sich in allen Revolutionen
der Erde vest erhalten. Mit nichten erst durch die Sündfluth
aus dem Abgrunde des Meers emporgestiegen, sondern sowohl
der Naturgeschichte als der ältesten Tradition zufolge, das
Urland der Menschheit, ward es der erste große Schauplatz
der Völker, dessen lehrreichen Anblick wir jetzt verfolgen.



der Urſitz der Menſchen und alſo auch die ſtaͤrkſte Bewohnung
der Welt war, ſind ja noch jetzt offenbar die aͤlteſten Einrich-
tungen, die aͤlteſten Gebraͤuche und Sprachen, von denen
dieſer weſtliche Stammbaum eines ſpaͤtern Volks nichts wuß-
te und wiſſen konnte. Es iſt eben ſo fremde, zu fragen: ob
der Sineſe von Kain oder Abel d. i. aus einer Troglodyten-
Hirten- oder Ackercaſte abſtamme? als wo das amerikaniſche
Faulthier im Kaſten Noah gehangen habe? Doch dergleichen
Erlaͤuterungen darf ich mich hier nicht uͤberlaſſen: ja ſelbſt die
Unterſuchung eines fuͤr unſre Geſchichte ſo wichtigen Punkts,
als die Verkuͤrzung der menſchlichen Lebensjahre und die ge-
nannte große Ueberſchwemmung ſelbſt iſt, muß einen andern
Ort erwarten. Gnug! der veſte Mittelpunkt des groͤßeſten
Welttheils, das Urgebuͤrge Aſiens hat dem Menſchengeſchlecht
den erſten Wohnplatz bereitet und ſich in allen Revolutionen
der Erde veſt erhalten. Mit nichten erſt durch die Suͤndfluth
aus dem Abgrunde des Meers emporgeſtiegen, ſondern ſowohl
der Naturgeſchichte als der aͤlteſten Tradition zufolge, das
Urland der Menſchheit, ward es der erſte große Schauplatz
der Voͤlker, deſſen lehrreichen Anblick wir jetzt verfolgen.



<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0356" n="344"/>
der Ur&#x017F;itz der Men&#x017F;chen und al&#x017F;o auch die &#x017F;ta&#x0364;rk&#x017F;te Bewohnung<lb/>
der Welt war, &#x017F;ind ja noch jetzt offenbar die a&#x0364;lte&#x017F;ten Einrich-<lb/>
tungen, die a&#x0364;lte&#x017F;ten Gebra&#x0364;uche und Sprachen, von denen<lb/>
die&#x017F;er we&#x017F;tliche Stammbaum eines &#x017F;pa&#x0364;tern Volks nichts wuß-<lb/>
te und wi&#x017F;&#x017F;en konnte. Es i&#x017F;t eben &#x017F;o fremde, zu fragen: ob<lb/>
der Sine&#x017F;e von Kain oder Abel d. i. aus einer Troglodyten-<lb/>
Hirten- oder Ackerca&#x017F;te ab&#x017F;tamme? als wo das amerikani&#x017F;che<lb/>
Faulthier im Ka&#x017F;ten Noah gehangen habe? Doch dergleichen<lb/>
Erla&#x0364;uterungen darf ich mich hier nicht u&#x0364;berla&#x017F;&#x017F;en: ja &#x017F;elb&#x017F;t die<lb/>
Unter&#x017F;uchung eines fu&#x0364;r un&#x017F;re Ge&#x017F;chichte &#x017F;o wichtigen Punkts,<lb/>
als die Verku&#x0364;rzung der men&#x017F;chlichen Lebensjahre und die ge-<lb/>
nannte große Ueber&#x017F;chwemmung &#x017F;elb&#x017F;t i&#x017F;t, muß einen andern<lb/>
Ort erwarten. Gnug! der ve&#x017F;te Mittelpunkt des gro&#x0364;ße&#x017F;ten<lb/>
Welttheils, das Urgebu&#x0364;rge A&#x017F;iens hat dem Men&#x017F;chenge&#x017F;chlecht<lb/>
den er&#x017F;ten Wohnplatz bereitet und &#x017F;ich in allen Revolutionen<lb/>
der Erde ve&#x017F;t erhalten. Mit nichten er&#x017F;t durch die Su&#x0364;ndfluth<lb/>
aus dem Abgrunde des Meers emporge&#x017F;tiegen, &#x017F;ondern &#x017F;owohl<lb/>
der Naturge&#x017F;chichte als der a&#x0364;lte&#x017F;ten Tradition zufolge, das<lb/>
Urland der Men&#x017F;chheit, ward es der er&#x017F;te große Schauplatz<lb/>
der Vo&#x0364;lker, de&#x017F;&#x017F;en lehrreichen Anblick wir jetzt verfolgen.</p>
        </div>
      </div><lb/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
    </body>
    <back>
</back>
  </text>
</TEI>
[344/0356] der Urſitz der Menſchen und alſo auch die ſtaͤrkſte Bewohnung der Welt war, ſind ja noch jetzt offenbar die aͤlteſten Einrich- tungen, die aͤlteſten Gebraͤuche und Sprachen, von denen dieſer weſtliche Stammbaum eines ſpaͤtern Volks nichts wuß- te und wiſſen konnte. Es iſt eben ſo fremde, zu fragen: ob der Sineſe von Kain oder Abel d. i. aus einer Troglodyten- Hirten- oder Ackercaſte abſtamme? als wo das amerikaniſche Faulthier im Kaſten Noah gehangen habe? Doch dergleichen Erlaͤuterungen darf ich mich hier nicht uͤberlaſſen: ja ſelbſt die Unterſuchung eines fuͤr unſre Geſchichte ſo wichtigen Punkts, als die Verkuͤrzung der menſchlichen Lebensjahre und die ge- nannte große Ueberſchwemmung ſelbſt iſt, muß einen andern Ort erwarten. Gnug! der veſte Mittelpunkt des groͤßeſten Welttheils, das Urgebuͤrge Aſiens hat dem Menſchengeſchlecht den erſten Wohnplatz bereitet und ſich in allen Revolutionen der Erde veſt erhalten. Mit nichten erſt durch die Suͤndfluth aus dem Abgrunde des Meers emporgeſtiegen, ſondern ſowohl der Naturgeſchichte als der aͤlteſten Tradition zufolge, das Urland der Menſchheit, ward es der erſte große Schauplatz der Voͤlker, deſſen lehrreichen Anblick wir jetzt verfolgen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785/356
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785, S. 344. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785/356>, abgerufen am 03.05.2024.