Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785.

Bild:
<< vorherige Seite

frühe und weite Verbreitung mancher astronomischen Bemer-
kungen, Eintheilungen und Handgriffe erstaunte, die man den
ältesten Völkern Asiens schwerlich abläugnen könnte?a) Es
ist, als ob ihre ältesten Weisen vorzüglich die Weisen des Him-
mels, Bemerker der stille-fortschreitenden Zeit gewesen, wie
denn auch noch jetzt, im tiefen Verfall mancher Nationen die-
ser rechnende, zählende Geist unter ihnen seine Wirkung äus-
sertb). Der Bramin rechnet ungeheure Summen im Ge-
dächtniß: die Eintheilungen der Zeit sind ihm vom kleinsten
Maas bis zu großen Himmelsrevolutionen gegenwärtig und
er trügt sich, ohne alle Europäische Hülfsmittel, darinn nur
wenig. Die Vorwelt hat ihm in Formeln hinterlassen, was
er jetzt nur anwendet: denn auch unsre Jahrrechnung ist ja
Asiatisch, unsre Ziffern und Sternbilder sind Aegyptischen oder
Jndischen Ursprungs.

Wenn endlich die Regierungsformen die schwerste Kunst
der Cultur sind: wo hat es die älteste, größeste Monarchieen
gegeben? wo haben die Reiche der Welt den festesten Bau
gefunden? Seit Jahrtausenden behauptet Sina noch seine alte

Ver-
a) S. Bailly's Gesch. der Sternkunde des Alterthums Leipz. 1777.
b) S. le Gentils Reisen in Ebelings Sammlung Th. 2. S. 406.
u. f. Walthers doctrina temporum Jndica hinter Bergers hi-
stor. regni Graccor. Bactriani, Petrop.
1738. u. f. f.

fruͤhe und weite Verbreitung mancher aſtronomiſchen Bemer-
kungen, Eintheilungen und Handgriffe erſtaunte, die man den
aͤlteſten Voͤlkern Aſiens ſchwerlich ablaͤugnen koͤnnte?a) Es
iſt, als ob ihre aͤlteſten Weiſen vorzuͤglich die Weiſen des Him-
mels, Bemerker der ſtille-fortſchreitenden Zeit geweſen, wie
denn auch noch jetzt, im tiefen Verfall mancher Nationen die-
ſer rechnende, zaͤhlende Geiſt unter ihnen ſeine Wirkung aͤuſ-
ſertb). Der Bramin rechnet ungeheure Summen im Ge-
daͤchtniß: die Eintheilungen der Zeit ſind ihm vom kleinſten
Maas bis zu großen Himmelsrevolutionen gegenwaͤrtig und
er truͤgt ſich, ohne alle Europaͤiſche Huͤlfsmittel, darinn nur
wenig. Die Vorwelt hat ihm in Formeln hinterlaſſen, was
er jetzt nur anwendet: denn auch unſre Jahrrechnung iſt ja
Aſiatiſch, unſre Ziffern und Sternbilder ſind Aegyptiſchen oder
Jndiſchen Urſprungs.

Wenn endlich die Regierungsformen die ſchwerſte Kunſt
der Cultur ſind: wo hat es die aͤlteſte, groͤßeſte Monarchieen
gegeben? wo haben die Reiche der Welt den feſteſten Bau
gefunden? Seit Jahrtauſenden behauptet Sina noch ſeine alte

Ver-
a) S. Bailly's Geſch. der Sternkunde des Alterthums Leipz. 1777.
b) S. le Gentils Reiſen in Ebelings Sammlung Th. 2. S. 406.
u. f. Walthers doctrina temporum Jndica hinter Bergers hi-
ſtor. regni Graccor. Bactriani, Petrop.
1738. u. f. f.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0314" n="302"/>
fru&#x0364;he und weite Verbreitung mancher a&#x017F;tronomi&#x017F;chen Bemer-<lb/>
kungen, Eintheilungen und Handgriffe er&#x017F;taunte, die man den<lb/>
a&#x0364;lte&#x017F;ten Vo&#x0364;lkern A&#x017F;iens &#x017F;chwerlich abla&#x0364;ugnen ko&#x0364;nnte?<note place="foot" n="a)">S. <hi rendition="#fr">Bailly's</hi> Ge&#x017F;ch. der Sternkunde des Alterthums Leipz. 1777.</note> Es<lb/>
i&#x017F;t, als ob ihre a&#x0364;lte&#x017F;ten Wei&#x017F;en vorzu&#x0364;glich die Wei&#x017F;en des Him-<lb/>
mels, Bemerker der &#x017F;tille-fort&#x017F;chreitenden Zeit gewe&#x017F;en, wie<lb/>
denn auch noch jetzt, im tiefen Verfall mancher Nationen die-<lb/>
&#x017F;er rechnende, za&#x0364;hlende Gei&#x017F;t unter ihnen &#x017F;eine Wirkung a&#x0364;u&#x017F;-<lb/>
&#x017F;ert<note place="foot" n="b)">S. <hi rendition="#fr">le Gentils</hi> Rei&#x017F;en in Ebelings Sammlung Th. 2. S. 406.<lb/>
u. f. <hi rendition="#fr">Walthers</hi> <hi rendition="#aq">doctrina temporum Jndica</hi> hinter <hi rendition="#fr">Bergers</hi> <hi rendition="#aq">hi-<lb/>
&#x017F;tor. regni Graccor. Bactriani, Petrop.</hi> 1738. u. f. f.</note>. Der Bramin rechnet ungeheure Summen im Ge-<lb/>
da&#x0364;chtniß: die Eintheilungen der Zeit &#x017F;ind ihm vom klein&#x017F;ten<lb/>
Maas bis zu großen Himmelsrevolutionen gegenwa&#x0364;rtig und<lb/>
er tru&#x0364;gt &#x017F;ich, ohne alle Europa&#x0364;i&#x017F;che Hu&#x0364;lfsmittel, darinn nur<lb/>
wenig. Die Vorwelt hat ihm in Formeln hinterla&#x017F;&#x017F;en, was<lb/>
er jetzt nur anwendet: denn auch un&#x017F;re Jahrrechnung i&#x017F;t ja<lb/>
A&#x017F;iati&#x017F;ch, un&#x017F;re Ziffern und Sternbilder &#x017F;ind Aegypti&#x017F;chen oder<lb/>
Jndi&#x017F;chen Ur&#x017F;prungs.</p><lb/>
          <p>Wenn endlich die Regierungsformen die &#x017F;chwer&#x017F;te Kun&#x017F;t<lb/>
der Cultur &#x017F;ind: wo hat es die a&#x0364;lte&#x017F;te, gro&#x0364;ße&#x017F;te Monarchieen<lb/>
gegeben? wo haben die Reiche der Welt den fe&#x017F;te&#x017F;ten Bau<lb/>
gefunden? Seit Jahrtau&#x017F;enden behauptet Sina noch &#x017F;eine alte<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Ver-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[302/0314] fruͤhe und weite Verbreitung mancher aſtronomiſchen Bemer- kungen, Eintheilungen und Handgriffe erſtaunte, die man den aͤlteſten Voͤlkern Aſiens ſchwerlich ablaͤugnen koͤnnte? a) Es iſt, als ob ihre aͤlteſten Weiſen vorzuͤglich die Weiſen des Him- mels, Bemerker der ſtille-fortſchreitenden Zeit geweſen, wie denn auch noch jetzt, im tiefen Verfall mancher Nationen die- ſer rechnende, zaͤhlende Geiſt unter ihnen ſeine Wirkung aͤuſ- ſert b). Der Bramin rechnet ungeheure Summen im Ge- daͤchtniß: die Eintheilungen der Zeit ſind ihm vom kleinſten Maas bis zu großen Himmelsrevolutionen gegenwaͤrtig und er truͤgt ſich, ohne alle Europaͤiſche Huͤlfsmittel, darinn nur wenig. Die Vorwelt hat ihm in Formeln hinterlaſſen, was er jetzt nur anwendet: denn auch unſre Jahrrechnung iſt ja Aſiatiſch, unſre Ziffern und Sternbilder ſind Aegyptiſchen oder Jndiſchen Urſprungs. Wenn endlich die Regierungsformen die ſchwerſte Kunſt der Cultur ſind: wo hat es die aͤlteſte, groͤßeſte Monarchieen gegeben? wo haben die Reiche der Welt den feſteſten Bau gefunden? Seit Jahrtauſenden behauptet Sina noch ſeine alte Ver- a) S. Bailly's Geſch. der Sternkunde des Alterthums Leipz. 1777. b) S. le Gentils Reiſen in Ebelings Sammlung Th. 2. S. 406. u. f. Walthers doctrina temporum Jndica hinter Bergers hi- ſtor. regni Graccor. Bactriani, Petrop. 1738. u. f. f.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785/314
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785, S. 302. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785/314>, abgerufen am 25.11.2024.