Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785.

Bild:
<< vorherige Seite


leicht also schon daher trägt die östliche Weltgegend bis zu
den Kamtschadalen hinauf, so wie über Tibet hin längs der
Halbinsel jenseit des Ganges Züge Mongolischer Bildung.
Lasset uns diesen Erdstrich übersehen, der uns manches son-
derbare zeiget.

Die meisten Künsteleien der Sinesen an ihrem Körper
betreffen Mongolische Züge. Bei jenen Völkern bemerkten
wir die ungestalten Füße und Ohren; wahrscheinlich gab,
da eine falsche Cultur dazu kam, eine ähnliche Ungestalt
zu jenem widernatürlichen Fußzwange, zu jenen abscheuli-
chen Verzerrungen der Ohren, die vielen Völkern dieses
Erdstrichs gewöhnlich sind, Anlaß. Man schämte sich sei-
ner Bildung und wollte verändern; traf aber auf Theile,
die, da sie der Veränderung nachgaben, sich als die häßlichste
Schönheit zuletzt vererbten. Die Sinesen tragen, sofern es
die große Verschiedenheit ihrer Provinzen und ihrer Lebensart
zuläßt, offenbar noch Züge der östlichen Bildung, die auf
der mongolischen Erdhöhe nur am stärksten ins Auge fällt.
Das breite Gesicht, die kleinen schwarzen Augen, die stum-
pfe Nase, der dünne Bart hat sich in einem andern Lande
nur zu einer weichern, rundern Gestalt klimatisiret; und
der Sinesische Geschmack scheint eben so sehr eine Folge übel-
geordneter Organe, wie ihre Regierungsform und Weisheit

Despo-
C 2


leicht alſo ſchon daher traͤgt die oͤſtliche Weltgegend bis zu
den Kamtſchadalen hinauf, ſo wie uͤber Tibet hin laͤngs der
Halbinſel jenſeit des Ganges Zuͤge Mongoliſcher Bildung.
Laſſet uns dieſen Erdſtrich uͤberſehen, der uns manches ſon-
derbare zeiget.

Die meiſten Kuͤnſteleien der Sineſen an ihrem Koͤrper
betreffen Mongoliſche Zuͤge. Bei jenen Voͤlkern bemerkten
wir die ungeſtalten Fuͤße und Ohren; wahrſcheinlich gab,
da eine falſche Cultur dazu kam, eine aͤhnliche Ungeſtalt
zu jenem widernatuͤrlichen Fußzwange, zu jenen abſcheuli-
chen Verzerrungen der Ohren, die vielen Voͤlkern dieſes
Erdſtrichs gewoͤhnlich ſind, Anlaß. Man ſchaͤmte ſich ſei-
ner Bildung und wollte veraͤndern; traf aber auf Theile,
die, da ſie der Veraͤnderung nachgaben, ſich als die haͤßlichſte
Schoͤnheit zuletzt vererbten. Die Sineſen tragen, ſofern es
die große Verſchiedenheit ihrer Provinzen und ihrer Lebensart
zulaͤßt, offenbar noch Zuͤge der oͤſtlichen Bildung, die auf
der mongoliſchen Erdhoͤhe nur am ſtaͤrkſten ins Auge faͤllt.
Das breite Geſicht, die kleinen ſchwarzen Augen, die ſtum-
pfe Naſe, der duͤnne Bart hat ſich in einem andern Lande
nur zu einer weichern, rundern Geſtalt klimatiſiret; und
der Sineſiſche Geſchmack ſcheint eben ſo ſehr eine Folge uͤbel-
geordneter Organe, wie ihre Regierungsform und Weisheit

Deſpo-
C 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0031" n="19"/><lb/>
leicht al&#x017F;o &#x017F;chon daher tra&#x0364;gt die o&#x0364;&#x017F;tliche Weltgegend bis zu<lb/>
den Kamt&#x017F;chadalen hinauf, &#x017F;o wie u&#x0364;ber Tibet hin la&#x0364;ngs der<lb/>
Halbin&#x017F;el jen&#x017F;eit des Ganges Zu&#x0364;ge Mongoli&#x017F;cher Bildung.<lb/>
La&#x017F;&#x017F;et uns die&#x017F;en Erd&#x017F;trich u&#x0364;ber&#x017F;ehen, der uns manches &#x017F;on-<lb/>
derbare zeiget.</p><lb/>
          <p>Die mei&#x017F;ten Ku&#x0364;n&#x017F;teleien der Sine&#x017F;en an ihrem Ko&#x0364;rper<lb/>
betreffen Mongoli&#x017F;che Zu&#x0364;ge. Bei jenen Vo&#x0364;lkern bemerkten<lb/>
wir die unge&#x017F;talten Fu&#x0364;ße und Ohren; wahr&#x017F;cheinlich gab,<lb/>
da eine fal&#x017F;che Cultur dazu kam, eine a&#x0364;hnliche Unge&#x017F;talt<lb/>
zu jenem widernatu&#x0364;rlichen Fußzwange, zu jenen ab&#x017F;cheuli-<lb/>
chen Verzerrungen der Ohren, die vielen Vo&#x0364;lkern die&#x017F;es<lb/>
Erd&#x017F;trichs gewo&#x0364;hnlich &#x017F;ind, Anlaß. Man &#x017F;cha&#x0364;mte &#x017F;ich &#x017F;ei-<lb/>
ner Bildung und wollte vera&#x0364;ndern; traf aber auf Theile,<lb/>
die, da &#x017F;ie der Vera&#x0364;nderung nachgaben, &#x017F;ich als die ha&#x0364;ßlich&#x017F;te<lb/>
Scho&#x0364;nheit zuletzt vererbten. <hi rendition="#fr">Die Sine&#x017F;en</hi> tragen, &#x017F;ofern es<lb/>
die große Ver&#x017F;chiedenheit ihrer Provinzen und ihrer Lebensart<lb/>
zula&#x0364;ßt, offenbar noch Zu&#x0364;ge der o&#x0364;&#x017F;tlichen Bildung, die auf<lb/>
der mongoli&#x017F;chen Erdho&#x0364;he nur am &#x017F;ta&#x0364;rk&#x017F;ten ins Auge fa&#x0364;llt.<lb/>
Das breite Ge&#x017F;icht, die kleinen &#x017F;chwarzen Augen, die &#x017F;tum-<lb/>
pfe Na&#x017F;e, der du&#x0364;nne Bart hat &#x017F;ich in einem andern Lande<lb/>
nur zu einer weichern, rundern Ge&#x017F;talt klimati&#x017F;iret; und<lb/>
der Sine&#x017F;i&#x017F;che Ge&#x017F;chmack &#x017F;cheint eben &#x017F;o &#x017F;ehr eine Folge u&#x0364;bel-<lb/>
geordneter Organe, wie ihre Regierungsform und Weisheit<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">C 2</fw><fw place="bottom" type="catch">De&#x017F;po-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[19/0031] leicht alſo ſchon daher traͤgt die oͤſtliche Weltgegend bis zu den Kamtſchadalen hinauf, ſo wie uͤber Tibet hin laͤngs der Halbinſel jenſeit des Ganges Zuͤge Mongoliſcher Bildung. Laſſet uns dieſen Erdſtrich uͤberſehen, der uns manches ſon- derbare zeiget. Die meiſten Kuͤnſteleien der Sineſen an ihrem Koͤrper betreffen Mongoliſche Zuͤge. Bei jenen Voͤlkern bemerkten wir die ungeſtalten Fuͤße und Ohren; wahrſcheinlich gab, da eine falſche Cultur dazu kam, eine aͤhnliche Ungeſtalt zu jenem widernatuͤrlichen Fußzwange, zu jenen abſcheuli- chen Verzerrungen der Ohren, die vielen Voͤlkern dieſes Erdſtrichs gewoͤhnlich ſind, Anlaß. Man ſchaͤmte ſich ſei- ner Bildung und wollte veraͤndern; traf aber auf Theile, die, da ſie der Veraͤnderung nachgaben, ſich als die haͤßlichſte Schoͤnheit zuletzt vererbten. Die Sineſen tragen, ſofern es die große Verſchiedenheit ihrer Provinzen und ihrer Lebensart zulaͤßt, offenbar noch Zuͤge der oͤſtlichen Bildung, die auf der mongoliſchen Erdhoͤhe nur am ſtaͤrkſten ins Auge faͤllt. Das breite Geſicht, die kleinen ſchwarzen Augen, die ſtum- pfe Naſe, der duͤnne Bart hat ſich in einem andern Lande nur zu einer weichern, rundern Geſtalt klimatiſiret; und der Sineſiſche Geſchmack ſcheint eben ſo ſehr eine Folge uͤbel- geordneter Organe, wie ihre Regierungsform und Weisheit Deſpo- C 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785/31
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785/31>, abgerufen am 18.12.2024.