Knospe, die sich dem Stral der mildern Sonne entfaltetc). Der Berglappe weidet schon sein Rennthier, welches weder der Grönländer noch Eskimoh thun konnten; er gewinnet an ihm Speise und Kleid, Haus und Decke, Bequemlich- keit und Vergnügen, da der Grönländer am Rande der Er- de dies alles meistens im Meere suchen muste. Der Mensch bekommt also schon ein Landthier zu seinem Freunde und Die- ner, bei dem er Künste und eine häuslichere Lebensweise ler- net. Es gewöhnet seine Füße zum Lauf, seine Arme zur künstlichen Fahrt, sein Gemüth zur Liebe des Besitzes und eines vestern Eigenthums, so wie es ihn auch bei der Liebe zur Freiheit erhält und sein Ohr zu der scheuen Sorgsamkeit gewöhnet, die wir bey mehrern Völkern dieses Zustandes bemerken werden. Schüchtern wie sein Thier horcht der Lappländer und fährt beim kleinsten Geräusch auf: er liebt seine Lebensart und blickt, wenn die Sonne wiederkehrt, zu den Bergen hinauf, wie sein Rennthier dahin blickt: er spricht mit ihm und es versteht ihn: er sorgt für dasselbe, wie für seinen Reichthum und sein Hausgesinde. Mit dem ersten zähmbaren Landthier also, das die Natur diesen Ge- genden geben konnte, gab sie dem Menschen auch einen Handleiter zur menschlichern Lebensweise.
Ueber
c) S. von den Lappen Höchström, Leem, Klingstedt, Geor- gi Beschreibung der Nationen des rußischen Reichs u. f.
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Knoſpe, die ſich dem Stral der mildern Sonne entfaltetc). Der Berglappe weidet ſchon ſein Rennthier, welches weder der Groͤnlaͤnder noch Eskimoh thun konnten; er gewinnet an ihm Speiſe und Kleid, Haus und Decke, Bequemlich- keit und Vergnuͤgen, da der Groͤnlaͤnder am Rande der Er- de dies alles meiſtens im Meere ſuchen muſte. Der Menſch bekommt alſo ſchon ein Landthier zu ſeinem Freunde und Die- ner, bei dem er Kuͤnſte und eine haͤuslichere Lebensweiſe ler- net. Es gewoͤhnet ſeine Fuͤße zum Lauf, ſeine Arme zur kuͤnſtlichen Fahrt, ſein Gemuͤth zur Liebe des Beſitzes und eines veſtern Eigenthums, ſo wie es ihn auch bei der Liebe zur Freiheit erhaͤlt und ſein Ohr zu der ſcheuen Sorgſamkeit gewoͤhnet, die wir bey mehrern Voͤlkern dieſes Zuſtandes bemerken werden. Schuͤchtern wie ſein Thier horcht der Lapplaͤnder und faͤhrt beim kleinſten Geraͤuſch auf: er liebt ſeine Lebensart und blickt, wenn die Sonne wiederkehrt, zu den Bergen hinauf, wie ſein Rennthier dahin blickt: er ſpricht mit ihm und es verſteht ihn: er ſorgt fuͤr daſſelbe, wie fuͤr ſeinen Reichthum und ſein Hausgeſinde. Mit dem erſten zaͤhmbaren Landthier alſo, das die Natur dieſen Ge- genden geben konnte, gab ſie dem Menſchen auch einen Handleiter zur menſchlichern Lebensweiſe.
Ueber
c) S. von den Lappen Hoͤchſtroͤm, Leem, Klingſtedt, Geor- gi Beſchreibung der Nationen des rußiſchen Reichs u. f.
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Knoſpe, die ſich dem Stral der mildern Sonne entfaltet c).
Der Berglappe weidet ſchon ſein Rennthier, welches weder
der Groͤnlaͤnder noch Eskimoh thun konnten; er gewinnet
an ihm Speiſe und Kleid, Haus und Decke, Bequemlich-
keit und Vergnuͤgen, da der Groͤnlaͤnder am Rande der Er-
de dies alles meiſtens im Meere ſuchen muſte. Der Menſch
bekommt alſo ſchon ein Landthier zu ſeinem Freunde und Die-
ner, bei dem er Kuͤnſte und eine haͤuslichere Lebensweiſe ler-
net. Es gewoͤhnet ſeine Fuͤße zum Lauf, ſeine Arme zur
kuͤnſtlichen Fahrt, ſein Gemuͤth zur Liebe des Beſitzes und
eines veſtern Eigenthums, ſo wie es ihn auch bei der Liebe
zur Freiheit erhaͤlt und ſein Ohr zu der ſcheuen Sorgſamkeit
gewoͤhnet, die wir bey mehrern Voͤlkern dieſes Zuſtandes
bemerken werden. Schuͤchtern wie ſein Thier horcht der
Lapplaͤnder und faͤhrt beim kleinſten Geraͤuſch auf: er liebt
ſeine Lebensart und blickt, wenn die Sonne wiederkehrt,
zu den Bergen hinauf, wie ſein Rennthier dahin blickt:
er ſpricht mit ihm und es verſteht ihn: er ſorgt fuͤr daſſelbe,
wie fuͤr ſeinen Reichthum und ſein Hausgeſinde. Mit dem
erſten zaͤhmbaren Landthier alſo, das die Natur dieſen Ge-
genden geben konnte, gab ſie dem Menſchen auch einen
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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785/23>, abgerufen am 16.07.2024.
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