Gesundheit der Grund aller unsrer physischen Glückseligkeit ist, sie dies Fundament so weit und breit auf der Erde legte. Die Völker, von denen wir glauben, daß sie sie als Stiefmutter behandelt habe, waren ihr vielleicht die liebsten Kinder: denn wenn sie ihnen kein träges Gastmal süßer Gifte bereitete, so reichte sie ihnen dafür durch die harten Hände der Arbeit den Kelch der Gesundheit und einer von innen sie erquickenden Le- benswärme. Kinder der Morgenröthe blühen sie auf und ab: eine oft Gedankenlose Heiterkeit, ein inniges Gefühl ihres Wohlseyns ist ihnen Glückseligkeit, Bestimmung und Genuß des Lebens; könnte es auch einen andern, einen sanftern und daurendern geben?
2. Wir rühmen uns unsrer feinen Seelenkräfte: lasset uns aber aus der traurigen Erfahrung lernen, daß nicht jede entwickelte Feinheit Glückseligkeit gewähre, ja daß manches zu feine Werkzeug eben dadurch untüchtig zum Gebrauch wer- de. Die Speculation z. E. kann das Vergnügen nur weni- ger, müßiger Menschen seyn und auch ihnen ist sie oft, wie der Genuß des Opium in den Morgenländern, ein entkräftend- verzerrendes, einschläferndes Traumvergnügen. Der wachen- de, gesunde Gebrauch der Sinne, thätiger Verstand in wirk- lichen Fällen des Lebens, muntere Aufmerksamkeit mit reger Erinnerung, mit schnellem Entschluß, mit glücklicher Wirkung
beglei-
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Geſundheit der Grund aller unſrer phyſiſchen Gluͤckſeligkeit iſt, ſie dies Fundament ſo weit und breit auf der Erde legte. Die Voͤlker, von denen wir glauben, daß ſie ſie als Stiefmutter behandelt habe, waren ihr vielleicht die liebſten Kinder: denn wenn ſie ihnen kein traͤges Gaſtmal ſuͤßer Gifte bereitete, ſo reichte ſie ihnen dafuͤr durch die harten Haͤnde der Arbeit den Kelch der Geſundheit und einer von innen ſie erquickenden Le- benswaͤrme. Kinder der Morgenroͤthe bluͤhen ſie auf und ab: eine oft Gedankenloſe Heiterkeit, ein inniges Gefuͤhl ihres Wohlſeyns iſt ihnen Gluͤckſeligkeit, Beſtimmung und Genuß des Lebens; koͤnnte es auch einen andern, einen ſanftern und daurendern geben?
2. Wir ruͤhmen uns unſrer feinen Seelenkraͤfte: laſſet uns aber aus der traurigen Erfahrung lernen, daß nicht jede entwickelte Feinheit Gluͤckſeligkeit gewaͤhre, ja daß manches zu feine Werkzeug eben dadurch untuͤchtig zum Gebrauch wer- de. Die Speculation z. E. kann das Vergnuͤgen nur weni- ger, muͤßiger Menſchen ſeyn und auch ihnen iſt ſie oft, wie der Genuß des Opium in den Morgenlaͤndern, ein entkraͤftend- verzerrendes, einſchlaͤferndes Traumvergnuͤgen. Der wachen- de, geſunde Gebrauch der Sinne, thaͤtiger Verſtand in wirk- lichen Faͤllen des Lebens, muntere Aufmerkſamkeit mit reger Erinnerung, mit ſchnellem Entſchluß, mit gluͤcklicher Wirkung
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Geſundheit der Grund aller unſrer phyſiſchen Gluͤckſeligkeit iſt,
ſie dies Fundament ſo weit und breit auf der Erde legte. Die
Voͤlker, von denen wir glauben, daß ſie ſie als Stiefmutter
behandelt habe, waren ihr vielleicht die liebſten Kinder: denn
wenn ſie ihnen kein traͤges Gaſtmal ſuͤßer Gifte bereitete, ſo
reichte ſie ihnen dafuͤr durch die harten Haͤnde der Arbeit den
Kelch der Geſundheit und einer von innen ſie erquickenden Le-
benswaͤrme. Kinder der Morgenroͤthe bluͤhen ſie auf und ab:
eine oft Gedankenloſe Heiterkeit, ein inniges Gefuͤhl ihres
Wohlſeyns iſt ihnen Gluͤckſeligkeit, Beſtimmung und Genuß
des Lebens; koͤnnte es auch einen andern, einen ſanftern und
daurendern geben?
2. Wir ruͤhmen uns unſrer feinen Seelenkraͤfte: laſſet
uns aber aus der traurigen Erfahrung lernen, daß nicht jede
entwickelte Feinheit Gluͤckſeligkeit gewaͤhre, ja daß manches
zu feine Werkzeug eben dadurch untuͤchtig zum Gebrauch wer-
de. Die Speculation z. E. kann das Vergnuͤgen nur weni-
ger, muͤßiger Menſchen ſeyn und auch ihnen iſt ſie oft, wie
der Genuß des Opium in den Morgenlaͤndern, ein entkraͤftend-
verzerrendes, einſchlaͤferndes Traumvergnuͤgen. Der wachen-
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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785, S. 197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785/209>, abgerufen am 09.11.2024.
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