sen nehmen wir sie als bestimmt an und untersuchen, was sich in verschiednen derselben, für thätige Seelenkräfte äußern.
Menschen, die sich von Wurzeln, Kräutern und Früch- ten nähren, werden, wenn nicht besondre Triebfedern der Cul- tur dazu kommen, lange müßig und an Kräften eingeschränkt bleiben. Jn einem schönen Klima und von einem milden Stamm entsproßen, ist ihre Lebensart milde: denn warum sollten sie streiten, wenn ihnen die reiche Natur alles ohne Mühe darbeut? mit Künsten und Erfindungen aber reichen sie auch nur an das tägliche Bedürfniß. Die Einwohner der Jnseln, die die Natur mit Früchten, insonderheit mit der wohlthätigen Brodfrucht nährte und unter einem schönen Himmel mit Rinden und Zweigen kleidete, lebten ein sanftes, glückliches Leben. Die Vögel, sagt die Erzählung, saßen auf den Schultern der Marianen und sangen ungestört: Bogen und Pfeile kannten sie nicht: denn kein wildes Thier foderte sie auf, sich ihrer Haut zu wehren. Auch das Feuer war ih- nen fremde: ihr mildes Klima ließ sie ohne dasselbe behaglich leben. Ein ähnlicher Fall wars mit den Einwohnern der Karolinen und andrer glücklichen Jnseln des Südmeers; nur daß in einigen die Cultur der Gesellschaft schon höher gestie- gen war und aus mancherlei Ursachen mehrere Künste und Gewerbe vereint hatte. Wo das Klima rauher wird, müs-
sen
ſen nehmen wir ſie als beſtimmt an und unterſuchen, was ſich in verſchiednen derſelben, fuͤr thaͤtige Seelenkraͤfte aͤußern.
Menſchen, die ſich von Wurzeln, Kraͤutern und Fruͤch- ten naͤhren, werden, wenn nicht beſondre Triebfedern der Cul- tur dazu kommen, lange muͤßig und an Kraͤften eingeſchraͤnkt bleiben. Jn einem ſchoͤnen Klima und von einem milden Stamm entſproßen, iſt ihre Lebensart milde: denn warum ſollten ſie ſtreiten, wenn ihnen die reiche Natur alles ohne Muͤhe darbeut? mit Kuͤnſten und Erfindungen aber reichen ſie auch nur an das taͤgliche Beduͤrfniß. Die Einwohner der Jnſeln, die die Natur mit Fruͤchten, inſonderheit mit der wohlthaͤtigen Brodfrucht naͤhrte und unter einem ſchoͤnen Himmel mit Rinden und Zweigen kleidete, lebten ein ſanftes, gluͤckliches Leben. Die Voͤgel, ſagt die Erzaͤhlung, ſaßen auf den Schultern der Marianen und ſangen ungeſtoͤrt: Bogen und Pfeile kannten ſie nicht: denn kein wildes Thier foderte ſie auf, ſich ihrer Haut zu wehren. Auch das Feuer war ih- nen fremde: ihr mildes Klima ließ ſie ohne daſſelbe behaglich leben. Ein aͤhnlicher Fall wars mit den Einwohnern der Karolinen und andrer gluͤcklichen Jnſeln des Suͤdmeers; nur daß in einigen die Cultur der Geſellſchaft ſchon hoͤher geſtie- gen war und aus mancherlei Urſachen mehrere Kuͤnſte und Gewerbe vereint hatte. Wo das Klima rauher wird, muͤſ-
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ſen nehmen wir ſie als beſtimmt an und unterſuchen, was ſich
in verſchiednen derſelben, fuͤr thaͤtige Seelenkraͤfte aͤußern.
Menſchen, die ſich von Wurzeln, Kraͤutern und Fruͤch-
ten naͤhren, werden, wenn nicht beſondre Triebfedern der Cul-
tur dazu kommen, lange muͤßig und an Kraͤften eingeſchraͤnkt
bleiben. Jn einem ſchoͤnen Klima und von einem milden
Stamm entſproßen, iſt ihre Lebensart milde: denn warum
ſollten ſie ſtreiten, wenn ihnen die reiche Natur alles ohne
Muͤhe darbeut? mit Kuͤnſten und Erfindungen aber reichen
ſie auch nur an das taͤgliche Beduͤrfniß. Die Einwohner der
Jnſeln, die die Natur mit Fruͤchten, inſonderheit mit der
wohlthaͤtigen Brodfrucht naͤhrte und unter einem ſchoͤnen
Himmel mit Rinden und Zweigen kleidete, lebten ein ſanftes,
gluͤckliches Leben. Die Voͤgel, ſagt die Erzaͤhlung, ſaßen auf
den Schultern der Marianen und ſangen ungeſtoͤrt: Bogen
und Pfeile kannten ſie nicht: denn kein wildes Thier foderte
ſie auf, ſich ihrer Haut zu wehren. Auch das Feuer war ih-
nen fremde: ihr mildes Klima ließ ſie ohne daſſelbe behaglich
leben. Ein aͤhnlicher Fall wars mit den Einwohnern der
Karolinen und andrer gluͤcklichen Jnſeln des Suͤdmeers; nur
daß in einigen die Cultur der Geſellſchaft ſchon hoͤher geſtie-
gen war und aus mancherlei Urſachen mehrere Kuͤnſte und
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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785, S. 160. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785/172>, abgerufen am 21.11.2024.
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