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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785.

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Werkzeuge verfeinte und öfnete, hat sie auch Mittel umher-
gelegt, sie bis zur Befriedigung zu vergnügen; so daß die gan-
ze Erde mit jeder zurückgehaltnen oder sich entfaltenden Orga-
nisation der Menschheit ihr wie ein harmonisches Saitenspiel
zutönet, in dem alle Töne versucht sind, oder werden versucht
werden. -- --

II.
Die Einbildungskraft der Menschen ist allenthal-
ben organisch und klimatisch; allenthalben aber
wird sie von der Tradition geleitet.


Von einer Sache, die außer dem Kreise unsrer Empfindung
liegt, haben wir keinen Begrif: die Geschichte jenes Siamer-
Königes, der Eis und Schnee für Undinge ansah, ist in tau-
send Fällen unsre eigne Geschichte. Jedes eingebohrne sinn-
liche Volk hat sich also mit seinen Begriffen auch in seine Ge-
gend umschränkt; wenn es thut, als ob es Worte verstehe,
die ihm von ganz fremden Dingen gesagt werden: so hat man
lange Zeit Ursach, an diesem innern Verständniß zu
zweifeln.

"Die

Werkzeuge verfeinte und oͤfnete, hat ſie auch Mittel umher-
gelegt, ſie bis zur Befriedigung zu vergnuͤgen; ſo daß die gan-
ze Erde mit jeder zuruͤckgehaltnen oder ſich entfaltenden Orga-
niſation der Menſchheit ihr wie ein harmoniſches Saitenſpiel
zutoͤnet, in dem alle Toͤne verſucht ſind, oder werden verſucht
werden. — —

II.
Die Einbildungskraft der Menſchen iſt allenthal-
ben organiſch und klimatiſch; allenthalben aber
wird ſie von der Tradition geleitet.


Von einer Sache, die außer dem Kreiſe unſrer Empfindung
liegt, haben wir keinen Begrif: die Geſchichte jenes Siamer-
Koͤniges, der Eis und Schnee fuͤr Undinge anſah, iſt in tau-
ſend Faͤllen unſre eigne Geſchichte. Jedes eingebohrne ſinn-
liche Volk hat ſich alſo mit ſeinen Begriffen auch in ſeine Ge-
gend umſchraͤnkt; wenn es thut, als ob es Worte verſtehe,
die ihm von ganz fremden Dingen geſagt werden: ſo hat man
lange Zeit Urſach, an dieſem innern Verſtaͤndniß zu
zweifeln.

„Die
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[142/0154] Werkzeuge verfeinte und oͤfnete, hat ſie auch Mittel umher- gelegt, ſie bis zur Befriedigung zu vergnuͤgen; ſo daß die gan- ze Erde mit jeder zuruͤckgehaltnen oder ſich entfaltenden Orga- niſation der Menſchheit ihr wie ein harmoniſches Saitenſpiel zutoͤnet, in dem alle Toͤne verſucht ſind, oder werden verſucht werden. — — II. Die Einbildungskraft der Menſchen iſt allenthal- ben organiſch und klimatiſch; allenthalben aber wird ſie von der Tradition geleitet. Von einer Sache, die außer dem Kreiſe unſrer Empfindung liegt, haben wir keinen Begrif: die Geſchichte jenes Siamer- Koͤniges, der Eis und Schnee fuͤr Undinge anſah, iſt in tau- ſend Faͤllen unſre eigne Geſchichte. Jedes eingebohrne ſinn- liche Volk hat ſich alſo mit ſeinen Begriffen auch in ſeine Ge- gend umſchraͤnkt; wenn es thut, als ob es Worte verſtehe, die ihm von ganz fremden Dingen geſagt werden: ſo hat man lange Zeit Urſach, an dieſem innern Verſtaͤndniß zu zweifeln. „Die

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785, S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785/154>, abgerufen am 21.11.2024.